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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Raum, in dem die Überreste verschiedener Theaterstücke gelagert waren.
    »Wartet hier«, sagte Arnauld. »Christian Picart, ja?«
    Tannhäuser nickte. Während Arnauld den Wachhabenden fragen ging, sah sich Tannhäuser im Raum um. Hier lehnten in Silber gemalte Berge an einer Wand. Dort waren Kulissen, die Höllenflammendarstellen sollten. Dämonenmasken füllten die Regale. Tierkostüme und Engelsflügel hingen an Kleiderstangen. Seltsame Geräusche zogen ihn tiefer in das angehäufte Gerümpel hinein.
    Dort stand beinahe verborgen ein großer Würfel, der mit einem schwarzen Samttuch abgedeckt war. Darunter hörte man Rascheln, dann war Stille, wieder eine Art trauriges Flüstern und Jammern, erneut Stille. Tannhäuser hob den Samt an, und es schallte ihm ein solcher Sturm verzweifelter Schreie entgegen, dass er zwei Schritte zurückwich und die Decke mitzog.
    Der Käfig war aus Latten gezimmert. In seinem Innern wimmelte es von unzähligen Affen, von denen keiner größer als ein Eichhörnchen war. Das Fell der Tiere war kurz und gelblich. Ihre Mäuler und Augen waren schwarz umrandet, wodurch ihre Köpfe wie Totenschädel aussahen. Sie klammerten sich mit ihren winzigen Fingern an die Latten, die auch Spuren ihrer scharfen Zähne zeigten. Die Tiere atmeten schwer. Als sie ihre Lippen zurückzogen, schimmerten ihre Gaumen in einem ungesunden Grau. Ihre Augen waren eingesunken. Manche lagen auf dem Boden des Käfigs und waren zu schwach, um sich zu rühren. Grégoire starrte die Geschöpfe mit einem mitleidigen Seufzen an.
    »Was sind das für Tiere?«, fragte Grégoire.
    »Sie heißen Affen.«
    Grégoire versuchte, das Wort auszusprechen.
    »Sie leben in Bäumen. Diese hier kommen aus der Neuen Welt, von jenseits des Ozeans.«
    »Sie haben Angst und Durst. Es ist kein Wasser im Käfig.«
    »Gut beobachtet. Hilf mir.«
    Tannhäuser schleuderte die Samtdecke fort. Während die Schreie ohrenbetäubend wurden, schleppten Tannhäuser und Grégoire den Käfig aus seinem Versteck und ließen ihn gleich bei der Tür stehen. Arnauld kam zurück und betrachtete die Affen angewidert.
    »Was macht Ihr da?«
    »Die armen Geschöpfe verdursten. Hier können sie wenigstens ihre Wächter alarmieren.«
    Sie ließen die brüllenden Affen zurück, und Arnauld führte sie wieder über den Korridor zurück.
    »Warum möchtet Ihr Picart sprechen?«, fragte Arnauld.
    »Er soll mir sagen, wo ich meine Frau finden kann.«
    »Er heißt mit Spitznamen ›Petit Christian‹, weil er mit missgebildeten Genitalien geboren wurde. Er hat keine Hoden, und sein Penis ist kaum zu sehen, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß. In seinen jungen Jahren hat ihn das für Menschen mit ausgefallenerem Geschmack, die dieser Palast anzieht wie der Dung die Fliegen, sexuell sehr attraktiv gemacht. Christian hat sich all diese Demütigungen gefallen lassen, in dem Glauben, so seinen Ehrgeiz als Dramatiker befriedigen zu können. Hätte er auch nur eine Spur Talent gehabt, wäre das vielleicht so gekommen.«
    »Er schreibt?«
    »Er hat ein einziges Theaterstück verfasst, das sich vor allem durch seine Protzigkeit und geistige Leere auszeichnet. Nun schreibt er nur noch gehässige Streitschriften gegen Dramatiker, die mehr Talent haben als er, und erotische Knittelverse für private Auftraggeber. Und er wird weithin verehrt für die sexuellen Monstrositätenschauen, die er zur Erregung seiner früheren Schänder auf die Bühne bringt. Seine offizielle Rolle ist die eines Regisseurs der Unterhaltung bei Hof.«
    »Also kein sonderlich wichtiger Mann.«
    »Wer könnte weniger wichtig sein als ein erfolgloser Stückeschreiber?«
    Tannhäuser sagte: »Ich habe noch nie ein Theaterstück gesehen.«
    »Noch eine halbe Stunde in Eurer Gesellschaft, und ich sehe mir nie wieder eines an.«
    Arnauld schaute noch in drei weiteren Amtsstuben nach. Christian war am Morgen sehr geschäftig gewesen, aber am Nachmittag noch nicht gesehen worden. Niemand wollte wissen, wo man ihn finden könnte.
    »Ich habe mein Bestes getan«, sagte Arnauld. »Ich weise Dominic Le Tellier an, seine Garden auszuschicken, um den Wicht zu finden. Dann werde ich mich, wenn Ihr erlaubt, meinen anderen Verpflichtungen widmen.«
    Tannhäuser nickte.
    Sie kehrten in die Vorhalle zurück und blieben stehen. Dort fiel ein Lichtstrahl von der Tür auf zwei Männer, die sich eindringlichunterhielten. Tannhäuser konnte nur das Gesicht des größeren sehen. Er war ein Offizier, der ein kostbares

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