Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Loire, nach Saint Nazaire und zu Schiff nach Bordeaux und nach Hause.
Die Vorstellung packte ihn.
Garnier und Dominic würden wahrscheinlich erst am Morgen erfahren, wohin – und wie – er entkommen war. Wenn sich am Morgen die Gemüter beruhigten und die politische Wirklichkeit wieder dämmerte – und wenn sie überall im Hôtel Le Tellier den Preis mit Blut an die Wände geschrieben gesehen hatten –, würden sie ihn vielleicht gar nicht weiter verfolgen. Sobald er Paris verlassen hatte, schwand auch ihre Macht und damit ihr Einflussbereich. Sie würden andere um Hilfe bitten müssen, die vielleicht unangenehme, wenn nicht tödliche Fragen stellen würden. Heute Nacht hatten sie die Stadt noch für sich; er wäre nur eine von unzähligen Leichen. Doch nicht einmal Dominic wäre so dumm, jetzt, am Vorabend eines neuen Religionskrieges, nur auf das Wort der Miliz hin die Krone zu bitten, einen Ritter vom heiligen Johannes zu töten. Er würde Gefahr laufen, dabei seine eigenen Verbrechen und seinen Verrat aufzudecken. Die klügere Strategie wäre, ihn zu vergessen, obwohl er sich darauf nicht verlassen konnte.
Er jedenfalls würde sie nicht vergessen.
Aber er konnte ein andermal wiederkommen und diese Rechnungen begleichen.
Er erinnerte sich an die Kähne, die hinter Irènes Gasthof vor Anker lagen. Carla und die Kinder an Bord verstecken. Ein Kahnführer und dessen blinder Sklave. Grymondes Gesicht allein würde schon Neugierige abschrecken. Wenn nicht, so hatte Tannhäuser schon zuvor auf dem Wasser gekämpft; und er bezweifelte, dass die Leute, die in diesen Booten auf Patrouille waren, damit Erfahrung hatten.
»Hugon, die Boote, die ich da hinten sehe, überwachen die den Schiffsverkehr?«
»Nein. Das ist eine Schiffsbarriere.«
»Eine Schiffsbarriere.«
Tannhäusers Wunschvorstellung löste sich auf wie alle schönen Träume.
»Die Boote sind Ende an Ende aneinandergekettet«, erklärte Hugon, »von der Tour de Nelle bis zum Kai am Louvre.«
Grymonde stöhnte auf. »Sie hatten die Barriere schon am Mittag an Ort und Stelle. Heute Nacht ist es entweder das Tor bei Saint-Denis oder irgendein Raum, der nach Pisse stinkt.«
Tannhäuser lud die Armbrust, mit der er auf Baro geschossen hatte.
»Hugon, warte an der Ecke auf mein Zeichen. Grégoire, bring den Karren langsam heran, als hättest du was in der Mühle zu tun. Die anderen ducken sich.«
Tannhäuser zog das Schwert und ging auf die Brücke zu.
Nackt bis zur Taille und blutverkrustet hatte er keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem gesuchten Mann, von dem die Milizmänner vielleicht gehört hatten. Er sah nicht aus wie ein Ritter, den man je gesehen oder sich auch nur vorgestellt hatte. Sie sollten ruhig denken, dass er einer von ihnen war, ein Mann im Blutrausch. Der Lärm der Wachmänner übertönte seine Schritte. Das Kohlenfeuer hatte ihre Augen ein wenig geblendet, ein Tag des Blutvergießens ihre Gedanken vernebelt. Tannhäuser hätte sie überfallen können, ehe sie es auch nur merkten, aber er wollte alle Nachtwachen aus ihrem Versteck aufstöbern. Er roch gebratenes Fleisch. Schweineohren. Oder Schweinebacken. Er winkte zum Gruß mit dem Schwert.
»Was gibt’s Neues, Freunde?«
Jetzt sah Tannhäuser, dass es vier waren.
Ihre erste Reaktion bei seinem Anblick war Furcht. Zwei packten ihre Hellebarden.
»Das riecht gut. Schweineohren?«
»Ja. Reicht gerade eben für uns.«
»Ich habe jede Menge einzutauschen.«
Die Hellebarden wurden gesenkt. Der Wolf war mitten unter den Schafen. Tannhäuser überlegte, in welcher Reihenfolge er sie töten würde. Da tauchte noch ein fünfter Mann auf und strecktevon hinten den Kopf über die Schulter des vierten. Tannhäuser änderte die Reihenfolge. Er lächelte.
»All das Töten hat mich ziemlich hungrig gemacht.«
Der fünfte lächelte zurück. Tannhäusers Ausfallschritt brachte ihn so nah, dass ihre Speere nichts mehr ausrichten konnten. Mit seinem ganzen Gewicht trieb er dem vierten Mann die Klinge seines Schwertes durch den Bauch und auch noch gute sechs Zoll in die Gedärme des Lächlers, der hinter dem stand. Die anderen versetzte er mit der Armbrust in Angst und Schrecken, während er die Sterbenden mit dem Fuß von der Klinge streifte. Einer rannte fort. Tannhäuser löste mit dem rechten Unterarm einen Pfeil aus und schoss ihm aus nächster Nähe in den Rücken. Der Schaft einer Hellebarde wurde auf seine Knie zu geschwungen, und er blockte ihn mit der Säule der Armbrust ab. Dem
Weitere Kostenlose Bücher