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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Tannhäuser.
    »Wenn es was Neues gibt, dann bringst du es mit.«
    Die Stimme, die ihn über den Lärm der Mühlen und des Wassers erreichte, war die eines jungen Mannes.
    »Sie sind vor Stunden gegangen, zumindest scheint es mir so. Haben sie dir irgendeine Nachricht für mich mitgegeben?«
    Tannhäuser sah das Gesicht: ein eifriger junger Bursche, nicht älter als Orlandu und wie Orlandu von den törichten Gedanken der Älteren verführt. Er hatte sich ein weißes Band um die Stirn gebunden, um den Schweiß aufzusaugen oder sich als Katholik zu zeigen. Hinter ihm war niemand. Drei Wachleute an jedem Ende, zwei waren zum anderen Ende gegangen, um mit ihren Kumpanen zu essen und zu trinken. Beim Anblick Tannhäusers schien der Bursche eher beeindruckt als furchtsam.
    »Die Scheißkerle haben dich also hier allein gelassen. Wer hatte das Kommando?«
    »Oudin.«
    »Oudin? Hätte ich mir denken können. Hier ist alles ruhig?«
    »Außer dem Müller bist du der Erste, den ich heute Abend sehe.«
    Der Junge lächelte. Schade, dass er sich entschieden hatte, bei diesem Abschaum mitzumachen.
    Tannhäuser stieß ihm das Schwert ins Herz. Er ließ ihn zu Boden fallen.
    Er drehte sich um und sah Hugon, der näher bei ihm war, als er hätte sein sollen, und den blutenden jungen Burschen betrachtete. Hugon schaute Tannhäuser an. Der konnte nicht ausmachen, was in dem Jungen vorging.
    »Das soll ihm eine Lehre sein«, sagte Hugon.
    »Hol den Wagen.«
    Tannhäuser überprüfte die schmale Straße bei der Brücke. Sie war in beide Richtungen menschenleer, nur ein Wagen voller Leichen stand da, von Wolken nächtlicher Insekten umschwärmt. Lagerhäuser an den Kais. Die Conciergerie, der Uhrenturm. Er konnte den Stundenzeiger sehen. Halb elf. Er sicherte die Pistole. Dann zerrte er den ermordeten Jungen und seine Pike zum nächsten Wasserrad. Er ließ die Pike ins Wasser fallen, nahm dem Jungen das weiße Band ab und wand es sich selbst um die Stirn.
    Er warf die Leiche in die Seine.
    Als die anderen ankamen, nahm Tannhäuser die Fackel aus dem Eimer und steckte sie in einen eisernen Haltering am Wagen. Es gefiel ihm nicht, dass er auf dieser Seite der Brücke auf der Cité war. Auf einer Insel. Das linke Ufer war wie eine Gefängnismauer. Wenn sie Glück hatten, wäre auf der Müllerbrücke noch keine Verstärkung eingetroffen, ehe er mit Carla wiederkam.
    Und mit Pascale. Wenn er sich die Zeit leisten konnte.
    In den Lagerhäusern war kein Licht zu sehen. Irgendwo würde es einen ruhigen Ort geben. Sobald er Carla gefunden hatte, konnte er den Wagen dorthin zurückbringen, ihn samt seiner Ladung verstecken und dann Pascale holen gehen. Carla würde Amparo haben. Ohne den Wagen ließe es sich leichter kämpfen.
    »Sehen uns damit nicht die Soldaten?«, fragte Estelle und deutete auf die Fackel.
    »Gut erkannt. Aber sie haben uns ohnehin gesehen, und da ein Wagen immer ein Licht haben sollte, würden wir ohne Licht viel mehr Misstrauen erregen. Hugon?«
    »Wir biegen nach links ab.« Hugon deutete auf ein Türmchen in der Nähe. »Am Palais vorbei.«
    Tannhäuser wollte Amparos Gesicht sehen. Er nahm die Armbrust von der Schulter und verstaute sie auf dem Wagen. Er schaute Estelle an. Amparo schlief in ihrer Wiege aus Ziegenleder. Seine Liebe war ein seltsames Gefühl, so wirklich wie das Holz des Wagens unter seiner Hand. Er wandte sich ab, drehte sich dann wieder hin.
    »Wo ist Orlandu?«
    »Er ist da hinten vom Wagen gesprungen«, sagte Estelle. Sie deutete über die Brücke.
    »Er hat gemeint: ›Mattias wird es verstehen.‹«
    Tannhäuser langte in den Wagen und zog Le Telliers Säckchen mit den Goldmünzen heraus. Er rannte über die Brücke zurück. Ein erleuchteter, ein dunkler Fleck. Die Wasserräder drehten sich. Wieder Licht. Er blieb stehen. Wenn Orlandu fort war, war er eben fort. Wenn nicht, dann wartete er und beobachtete Tannhäuser.
    »Orlandu! Ich verstehe es. Komm mit.«
    Orlandu erschien aus der Dunkelheit. Er schrie über den Lärm hinweg : »Ich kann in Paris überleben.«
    »Das ist doch nichts für solche wie uns. Komm mit uns mit.«
    »Ich kann Carla nicht gegenübertreten. Noch nicht. Dir auch nicht. Sag ihr …« Die Stimme versagte ihm. »Ich verspreche, ich komme nach Hause. Bald. Sag ihr, ich liebe Amparo. Auf Wiedersehen, mein Bruder.«
    Tannhäuser warf ihm das Säckchen zu.
    »Damit kannst du ein Jahr lang fürstlich leben, wenn du einen Bogen um die Bordelle machst.«
    Der Sack kam vor Orlandus

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