Die Blutnacht: Roman (German Edition)
zu bleiben. Tannhäuser machte Grégoire ein Zeichen, das zu tun.
»Halt! Wo wart ihr?«
»Wenn Ihr ›Monsieur‹ hinzufügt, bekommt Ihr vielleicht eine Antwort.«
Ein Ladenbesitzer, vermutete Tannhäuser, der es gewöhnt war, Rollkutscher anzubrüllen und ihn wohl für einen hielt. Tannhäuser stand da, wo die Fackel etwa einen Schritt von seiner Schulter entfernt flackerte. Der Ladenbesitzer sah das Blut und die Waffen.
»Monsieur, wo kommt Ihr her?«
»Von Les Halles, Monsieur, wo es sehr viel mehr zu tun gibt als hier.«
Der Ladenbesitzer schaute auf die Kinder mit ihren großen Helmen. Auf den zusammengesackten Riesen und den grässlich grinsenden Kutscher. Auf die Leichen und den kahlen Hund. Auf die mit Mehl und Exkrementen beschmierte Gestalt, die unter dem Wagen kauerte. Er hatte keine Ahnung, was er von diesem Anblick halten sollte, obwohl ihn seine Selbstgefälligkeit davor schützte, sich zu beunruhigen.
»Ihr seid über die Müllerbrücke gekommen. Das ist gegen die Vorschriften.«
»Ihr könnt das mit Oudin und den anderen ausfechten. Die haben gedacht, es wäre erlaubt. Und Bernard Garnier auch, der mich auf diese Route geschickt hat, um Eure Ketten zu umgehen. Die haben seine eigene Expedition schon behindert, wenn Ihr Euch erinnert.«
Der Ladenbesitzer erinnerte sich. »Der Hauptmann wird schon bald zurückkommen. Ich auch, um wieder über die Müllerbrücke zu fahren.«
»Wir haben Ausgangssperre. Es ist gefährlich, auf der Straße zu sein. Was ist Eure Aufgabe?«
»Ich muss was für Garnier erledigen. Ich warte, wenn Ihr es befehlt. Aber Ihr müsst es ihn dann selbst fragen.«
Der Ladenbesitzer schaute ihm geradewegs ins Gesicht und bereute es sofort.
Tannhäuser lächelte, damit er sich nicht abwendete.
»Der Hauptmann ist heute Nacht sehr gereizt. Ich auch. Aber er kann es sich leisten, er ist der Hauptmann. Ruft Eure Gefährten herüber. Leute! Hierher!«
Das gefiel dem Ladenbesitzer gar nicht, obwohl er die Gefahr genauso wenig ahnte wie seine Kumpane. Sie lehnten ihre Speere bei der Kette an eine Mauer und kamen eilends herüber. Es waren kräftigere Kerle. Handwerker. An den Händen konnte man einen als Färber erkennen.
Tannhäuser nickte, und sie nickten zurück.
»Lasst uns diesen Wein kosten«, sagte er. »Ich glaube, er ist recht gut.«
Tannhäuser hockte sich hin, drehte den Hahn auf und trank. Er richtete sich wieder auf.
»Ich habe schon besseren getrunken. Zumindest einmal, vor langer Zeit.«
Die Handwerker warteten nicht, bis der Ladenbesitzer ihnen die Erlaubnis gab.
»Ihr wollt wissen, warum Garnier so schlechte Laune hat?«, fragte Tannhäuser.
Das Verhalten des Ladenbesitzers änderte sich schlagartig. Klatsch brachte immer Gold ein.
»Er hat heute einige Pilger verloren. Leute aus der Bruderschaft.«
»Ach, wirklich? Wir hatten ein Gerücht gehört, dass er zu den Höfen gegangen ist.«
»Wir waren auch dabei, und es war grässlich«, sagte Tannhäuser. »Da sind sogar die Mädchen gefährlicher als tollwütige Hunde.« Er zwinkerte Estelle zu, deren Augen unter dem Helm hervorleuchteten. »Aber ihr kennt ja Garnier. Der hat gekriegt, was er wollte. Und diese Bettlerbande wird ihn so schnell nicht vergessen. Vom Infanten habt Ihr doch gehört?«
Tannhäuser bemerkte, dass Grymonde sein Gewicht auf dem Kutschbock verlagerte.
Der Ladenbesitzer schüttelte den Kopf. Der Färber richtete sichauf, nachdem er zum zweiten Mal vom Wein getrunken hatte. Der andere beugte sich zum dritten Mal zum Fässchen.
»Vom Infanten von Cockaigne? Grymonde? Wer hat nicht von dem gehört? Der würde Euch für einen Schilling die Kehle durchschneiden und noch Wechselgeld herausgeben.«
Tannhäuser hörte Grymonde ächzen.
»Ich frage Euch nicht, wo Ihr besseren Wein getrunken habt, mein Freund, denn in Paris war es nicht. Mir schmeckt er süß.«
»Da trinken wir unser Leben lang Essig und haben es nicht einmal gewusst.«
»Nehmt euch das Fässchen, Freunde. Es gehört euch.«
Der Ladenbesitzer schüttelte den Kopf. »Wir sind hier, um Christus und dem König zu dienen, nicht um Wein zu saufen.«
»Im Louvre und in den Klöster trinken sie auch keinen Essig«, wandte Tannhäuser ein. »Da habe ich übrigens damals den besseren Wein getrunken. Sind wir vielleicht Calvinisten?«
Tannhäuser lachte. Die beiden fielen ein. Sie beäugten das Fässchen.
»Wo der herkommt, gibt es noch mehr, und er hat mich keinen Sou gekostet«, sagte Tannhäuser. »Also trinkt und
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