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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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fragte Grymonde.
    »Zeige ihnen, dass du es in der Hand hast, das reicht schon.«
    Grymonde betastete den Streitkolben. »Ich werde mich nach dem Grollen ihrer Gedärme richten und angreifen.«
    Tannhäuser bat Estelle, sich rückwärts auf die Ladefläche des Wagens zu stellen. Er nahm sie bei der Taille und hob sie sich auf die Schulter. Sie setzte sich bequem hin, und er spürte Amparo an seinem rechten Ohr. Er hängte sich Altans Bogen und Köcher über die linke Schulter.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Estelle.
    »Zu den Kais, ein wenig nördlich von Notre-Dame.«
    »Das ist nicht weit«, sagte Estelle.
    Grymonde fragte: »Warum geht ihr?«
    »Ich hole noch jemanden. Pascale. Le Telliers Sergents haben sie.«
    Tannhäuser erinnerte sich, dass er nicht nur seine, sondern auch Grymondes Tochter mitnahm. Dass Estelle diese Tochter war, hatte er auf dem Hof gleich gesehen; genauso, wie er verstanden hatte, dass sie es nicht wusste. Er wunderte sich, warum Grymonde sich nicht zu ihr bekannt hatte, aber er fragte nicht.
    »Habe ich den Segen meines Infanten?«
    »La Rossa ist dein Segen. Der Infant ist tot. Aber wenn das hier das Paradies ist, dann reicht es mir.«
    »Hugon«, sagte Tannhäuser, »zeige mir Garniers Haus.«
    Garniers Haus wäre ohnehin schon deutlich zu erkennen gewesen, selbst wenn nicht zwei Wachen draußen auf der Treppe geschlafen hätten. Tannhäuser hätte sie töten können, während sie träumten. Aber seine anderen Überlegungen würden sich dadurch nicht ändern, und auch später würde es ihm kaum Mühe machen, sie zu töten, schlafend oder wach.
    »Hugon, wenn Grégoire den Wagen an Ort und Stelle hat, komm zurück und bewache das Haus für mich.«
    Er hieb ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass irgendein Mann oder Junge das nicht gemocht hatte. Hugon schien es nicht zu gefallen. Er bewegte die Schulter, als hätte man ihn belästigt.
    »Ich bewache das Haus für mich«, antwortete er. »Und für Carla.«
    »Umso besser. Halte auch nach uns Ausschau, wenn wir zurückkommen.«
    Tannhäuser glaubte, den Herzschlag seiner Tochter am Hinterkopf zu spüren. Das konnte nicht sein, nicht durch den Weinschlauch hindurch, aber die Vorstellung gab ihm Mut. Er machte sich durch die pechfinstere Nacht zu Irènes Haus auf.
    »Tannser?«, fragte Estelle. »Gefällt dir der Name Pascale?«
    »Ja.« Er spürte, dass seine Antwort nicht gut genug war. »Aber nicht so gut wie Estelle.«
    »Meinst du, Pascale wäre ein guter Name für eine Schwester?«
    »Ja. Ja.«
    »Also ist sie eine von uns.«
    »Ja, das denke ich schon.«
    Tannhäuser stellte fest, dass er trotz seiner Passagiere recht schnell vorankam. Das Licht der Laterne war nur schwach, und er hätte allein auch nicht viel schneller gehen können.
    »Tannser? Was bedeutet Pascale?«
    Tannhäuser dachte eine Weile darüber nach.
    Die Flucht der Kinder Israels aus Ägypten.
    Er sagte: » Weg zur Freiheit .«
    »O ja.«
    Estelle dachte kaum darüber nach.
    »Mit einem Stern und einem Schutz und einem Weg können wir nach Hause finden.«
    Tannhäuser lachte. »Wir sind schon so gut wie dort.«
    »Was bedeutet Tannser?«
    »Das weiß ich nicht. Warum gibst du dem Namen nicht deine eigene Bedeutung?«
    Sie hatten die Straße erreicht, die vom Pont Notre-Dame zum Petit Châtelet führte. Er schaute nach Norden. Ein Kohlenfeuer. Milizmänner standen untätig bei der Kette, die die Auffahrt zur Brückeversperrte. Im Süden machte die Straße eine Biegung und war menschenleer. Er überquerte sie ungesehen und eilte weiter.
    Estelle beugte sich zu seinem Ohr herunter und flüsterte.
    » Der Nordwind weht .«



KAPITEL 31

D AS G ERICHT
    Die Erschöpfung war Carla in alle Knochen gedrungen, in jede Faser gesickert, hatte sogar ihren Geist erfasst. Selbst bei der Arbeit im Hospital in Malta während der schlimmsten Tage der Belagerung hatte sie sich nicht so ausgelaugt gefühlt. Zu dieser Erschöpfung hatte sich noch die schwärzeste Melancholie gesellt. Und doch konnte sie nicht schlafen.
    Sie lag auf einem bequemen Bett in einem Gästezimmer im ersten Stock von Bernard Garniers Haus auf der Île de la Cité. Furchtbare Geräusche wehten von den Flussufern zum Fenster herein. Dort nahmen die an den Hugenotten verübten Gräueltaten noch immer ihren Lauf. Es fehlte Carla sogar am Willen, aufzustehen und das Fenster zu schließen. Die Schreie der Frauen und Kinder, die Verzweiflung der Psalmensänger erlegten ihr die

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