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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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gerafft, in der anderen hielt sie einen Sack. Sie blieb ein paar Schritte vor Carla stehen, ließ den Rock los und packte den Sack mit beiden Händen, vielmehr griff sie mit den Fingern einer Hand oben hinein. Einen Augenblick lang stand sie angespannt da, als bereitete sie sich auf eine schnelle Bewegung vor. Sie blickte zu Bonnett, und Carla hatte das merkwürdige Gefühl, dass Bonnett in weitaus größerer Gefahr war als das Mädchen.
    Bonnett knurrte sie an, um seine Verlegenheit zu überspielen.
    »Wer bist du, du Schlampe?«
    Das Mädchen beachtete ihn nicht. Sie schaute Carla an. Sie war vielleicht vierzehn Jahre alt. Ihr Haar war kurz abgesäbelt und schimmerte im Mondlicht blau wie türkisches Indigo. Ihr Gesicht war mit etwas verschmiert, das wie Pulverschmauch aussah, dies aber unmöglich sein konnte. Ihre Augen waren wild entschlossen. Carla hatte das Gefühl, dass das Mädchen an diesem Tag schlimmere Dinge gesehen hatte, als selbst sie erlebt hatte.
    »Könnt Ihr uns mit hineinnehmen, Madame?«
    »Ketzer, was?«, fragte Bonnett.
    »Seid still, Bonnett.«
    »Wenn Ihr das nicht macht«, sagte das Mädchen, »dann versuchen sie uns umzubringen.«
    »Versuchen?«, höhnte Bonnett.
    »Fähnrich Bonnett, ich sagte, seid still.«
    Carla nickte dem Mädchen zu.
    »Natürlich nehme ich euch mit hinein. Wie viele seid ihr?«
    »Vier. Könnt Ihr ihm vertrauen?«
    »Ich vertraue darauf, dass er sich vor seinem Hauptmann fürchtet, der mir wohlgesinnt ist.«
    Das Mädchen drehte sich um und winkte. Drei weitere Gestaltentauchten wie aus dem Nichts auf und rannten auf sie zu. In der Mitte war ein Junge, etwa gleichaltrig wie das Mädchen. Er hatte sich zwei prallvolle Satteltaschen über die Schulter gehängt. Sie schienen sehr schwer zu sein. Zwei kleine Mädchen, die völlig gleich aussahen, hielten ihn an den Händen.
    »Ich bin mir nicht sicher, Madame«, sagte Bonnett.
    »Fähnrich Bonnet, ich hatte gehofft, Hauptmann Garnier nicht mit der Nachricht beschämen zu müssen, dass die Verteidiger seiner Frau auf der Schwelle seines Hauses eingeschlafen sind. Wenn Ihr mich und diese Kinder durch das Portal hinein begleitet, dann erspare ich ihm das.«
    »Möchtest du durch die Taufe in die eine heilige Kirche aufgenommen werden?«, fragte Bonnett das Mädchen.
    Es verlagerte das Gewicht auf das andere Bein und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Carla war sich sicher, dass sich das Mädchen jederzeit auf Bonnett gestürzt hätte, obwohl der sein Schwert gesenkt hatte und nichts zu ahnen schien.
    Das Mädchen antwortete: »Nein.«
    »Das reicht«, sagte Carla. »Bringt uns hinein. Ihr geht vor. Und steckt das Schwert weg.«
    Bonnett steckte sein Schwert in die Scheide und richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, immer noch einige Zoll kleiner als Carla oder das Mädchen. Er blähte seine Brust auf und ging voraus, nahm den halbherzigen Salut der Männer an der Tür entgegen. Carla deutete durch eine Geste an, dass die Kinder vor ihr hergehen sollten, und alle außer dem Mädchen leisteten Folge. Das Mädchen ging, angespannt wie eine Raubkatze, neben ihr her.
    Sie traten unter dem Jüngsten Gericht hindurch.
    Die Kathedrale, von der sie erwartet hatte, sie menschenleer vorzufinden, war voller Flüchtlinge. Soweit sie sehen konnte, waren alles Frauen und Kinder. Ihr Elend erfüllte den ungeheuren Kirchenraum wie Weihrauch. Carla wandte sich an Bonnett und nahm ihm ihren Gambenkasten ab.
    »Wenn Ihr bleiben und um Vergebung beten wollt, könnt Ihr das gern machen. Wenn nicht, dann entbinde ich Euch von Eurer Verantwortung. Ihr könnt Eurem Hauptmann berichten, dass ich hier in Sicherheit bin.«
    Es war Carla gleichgültig, wie er sich entscheiden würde, und sie ließ ihn stehen. Als sie sich zu dem Mädchen umwandte, um seinen Namen zu erfragen, stellte sie fest, dass die vier Flüchtlingskinder verschwunden waren.
    Carla dachte nicht lange über die vier nach. Sie hatte ihnen nur einen kleinen Dienst erwiesen. Hier im Innern hatten sie reichlich Gesellschaft. Carla nahm Antoinette bei der Hand und ging im Kirchenschiff nach vorn. Sie musste einen Priester finden, ihm erklären, wer sie war. Sie würde Italienisch sprechen. Die meisten Priester hier verstanden zumindest einige Brocken Italienisch. Und sie konnte damit sofort beweisen, dass sie keine Hugenottin war.
    Sie fühlte sich schwach. Ein Krampf. Die Beine schienen ihr den Dienst zu versagen. Sie war schon ein Stück durch den Mittelgang nach vorn

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