Die Blutnacht: Roman (German Edition)
getötet, bevor die ihre Befehle ausführen konnten; so wie es aussah, ehe sie auch nur eine Möglichkeit hatten, ein Wort zu sagen.
Er stellte die Kerze auf das leere Bett und ging zum Fenster.
Er sah kein Blut auf dem Fensterbrett. Er erblickte die beiden Kähne. Am anderen Ufer bewegten sich Fackeln, und auf der Place de Grève brannten Kohlenfeuer. Seit dem Nachmittag war die Zahl der Milizsoldaten geschrumpft, aber es waren immer noch mindestens sechzig, wahrscheinlich als Reserve. In den Straßen der Umgebung mussten noch viele mehr sein.
Wohin waren die Kinder wohl gegangen?
Er erinnerte sich an Estelle. Er wandte sich um und wollte sie schon holen gehen.
Ein Wort stand über der Kerze mit Blut an die Wand geschmiert.
MÄUSE.
Tannhäuser brachte Estelle und Amparo ins Haus.
Irène verzog das Gesicht, als sie die beiden sah.
»Ich habe Durst«, sagte Estelle.
»Wir gehen in die Küche«, sagte Tannhäuser. »Irène, bring uns Wasser.«
Irène hielt den Mund. Sie brachte Wasser. Tannhäuser lehnte die Armbrust an die Tür. Er und Estelle tranken. Amparo würde schon bald eine Brust brauchen.
»Mäuse«, murmelte er.
»Die kleinen Schweine! Meine Böden sind auch ruiniert.«
»Kauft Euch einen Schrubber! Was ist mit dem dritten Sergent passiert?«
»Anne ist hinter ihm her auf die Straße gerannt. Als sie wiederkam, hat sie behauptet, er wäre tot.«
Die Leiche am Misthaufen. Tannhäuser verspürte Bewunderung.
»Sie hat alle drei umgebracht.«
»Mich beinahe auch noch.«
Tannhäuser überlegte, warum sie das wohl nicht getan hatte. Irène las ihm die Gedanken vom Gesicht ab.
»Sie sagte, sie wüsste nicht, ob Ihr es tun würdet.«
»Dann steht Ihr in meiner Schuld. Wann sind sie fortgegangen?«
»Als es eben dunkel wurde.«
Vor beinahe drei Stunden. Eine lange Zeit, um sich zu verstecken. Genug Zeit, um woanders hinzugehen. Tybaut der Kuppler. MÄUSE.Das bedeutet, dass sie in seine Unterkunft gegangen waren. Wo immer das war. Die Zeit drängte. Der Schnüffler eines Schnüfflers. Pater Pierre in Notre-Dame.
Irène hatte die Arme um den Leib geschlungen. »Ich bin die ganze Nacht hier gewesen, allein mit diesen Leichen, und habe auf Alois gewartet. Oder auf Euch.«
»Vom Châtelet kommt heute niemand mehr her.«
»Was werdet Ihr mit mir machen?«
»Ihr bleibt im Haus. Ich zerre die Leichen auf die Straße.«
»Wie fürsorglich. Was sage ich Alois?«
»Frogier ist tot.«
Irène schlug die Hand vor den Mund.
Tannhäuser stürzte das Wasser hinunter. Er setzte den Krug ab.
»Wie ist er gestorben?«
»Unter Qualen, im Dunklen.«
»Du Schweinehund!«
»Frogier hat den Kindern Sicherheit versprochen. Ihr habt ebenfalls mein Gold dafür genommen.«
»Ich sorge dafür, dass man Euch aufhängt!«
»Ich bin kein Schotte.«
»Ihr seid alle gleich. Verdammte Scheißkerle! Ich könnte kotzen.«
Tannhäuser spürte ein Ziehen im Rücken. Er überlegte sich noch einmal, ob er die Leichen wegschaffen sollte.
Irène kreischte. »Ich sorge dafür, dass ihr alle an den Galgen kommt!«
»Vorsicht, Irène. Die Gewässer, in denen Frogier ertrunken ist, sind so tief, dass auch Ihr darin untergehen könntet. Wenn es Fragen gibt, behauptet, dass Ihr von nichts wisst.«
»Ich kriege euch alle. Und eure verdammten Kinder auch. Ich gehe zu Le Tellier.«
Da klappte Irène plötzlich zusammen, flog gegen den Küchenschrank und krümmte sich im Fallen. Das dumpfe Surren der Armbrustsehne begleitete ihren schnellen Tod.
»Ich glaube, ich habe sie mitten ins Herz getroffen«, sagte Estelle.
Sie sah aus wie jemand, der eine lästige Wespe erschlagen hat. Sie erwartete keinen Tadel. Tannhäuser wollte sie auch nicht zurechtweisen.Irènes Tod konnte nur von Vorteil sein. Er schaute zu Amparo. Sie zwinkerte, schien aber nicht verstört darüber zu sein, dass unter ihr ein Bolzen abgeschossen worden war.
»Ich habe darauf geachtet, dass du nicht im Weg standest«, sagte Estelle.
»Gut. Die erste Regel, ehe man auf etwas schießt.«
Er nahm ihr die Armbrust aus der Hand und lud sie erneut.
»Sie hat gesagt, dass sie die Kinder aufhängen würde.«
»Nun, das konnten wir nicht zulassen, was?«
Sie folgte ihm aus der Küche heraus. Er nahm einer der Leichen noch einen Köcher ab.
»Wohin gehen wir jetzt?«, fragte Estelle.
»Zu einem Schnüffler in Notre-Dame. Kennst du einen ruhigen Weg dahin?«
»Können wir wieder fliegen?«
»Fliegen? Das müssen wir sogar.«
Estelle führte ihn durch die
Weitere Kostenlose Bücher