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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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konnte. Er schaute Juste in die Augen. Auf den Jungen war Verlass.
    »Juste, bleib außer Sichtweite. Wenn einer der Männer sich rührt, nachdem ich vorbeigegangen bin, schieß auf ihn.«
    »In den Rücken?«
    »Wo immer du glaubst, dass du ihn töten kannst.«
    Tannhäuser hakte die Kette aus und ließ sie fallen. Er fragte sich, ob er an Justes Stelle dem Mann, der seine Brüder umgebracht hatte, in den Rücken schießen würde. Er glaubte es nicht, zumindest nicht in dem Alter. Er ging mitten auf der Straße zwischen den Wachmännern hindurch.
    Er war inzwischen in Reichweite ihrer Hellebarden. Er ließ sie das auf seinem Körper überall eingetrocknete Blut der Männersehen, die versucht hatten, ihn aufzuhalten. Er schaute starr nach vorn. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass sein Blick nicht einen Mann provozieren würde, der in der richtigen Kampfstimmung war. Die Wachen sahen aber zu erfahren aus, als dass sie mehr getan hätten als das, wofür man sie bezahlt hatte. Doch wenn es aussah, als würde er den Kampf verlieren, und für sie sah es vielleicht so aus, dann würden sie sich auf ihn stürzen.
    Er erreichte die höchste Stelle der sanft gewölbten Brücke. Das andere Ende der Brücke war mit zwei Karren versperrt, deren Deichseln man über Kreuz gelegt und mit Seilen zusammengebunden hatte. Tannhäuser sah eine Zündpfanne aufblitzen, machte eine blitzschnelle Drehung auf der Stelle und packte die Bogensehne, als eine Muskete vor ihm dröhnte.
    Zwei Gewehre, eines pro Karren. Er hörte die Kugel vorüberzischen, spürte sie aber nicht. Er spannte den Bogen und zielte durch den Rauch, der aus dem ersten Karren aufstieg, auf den zweiten. Sein Anblick ließ den zweiten Gewehrschützen schwanken, als die Zündpfanne aufblitzte. Tannhäuser schoss den Pfeil auf den Kopf dahinter ab. Die Kugel zischte vorüber. Die Muskete fiel vor der Barrikade vom Wagen. Tannhäuser schickte einen zweiten Pfeil durch die Seite des ersten Karrens und legte einen neuen ein, als in heller Panik eine Gestalt ohne Gewehr vom Karren sprang.
    Sie würden sich in alle vier Winde zerstreuen, ehe er sie töten konnte. Bis er die Karren weggeräumt hatte, waren sie mit Verstärkung wieder da. Es würde einen Straßenkampf bis hin zur Porte Saint-Denis geben.
    Also musste es wohl der Fluss sein. Er machte kehrt.
    Der zweite Wachmann links ließ sich mit Hilfe seiner Hellebarde auf die Knie nieder und fiel um. Eine der Musketenkugeln hatte ihn getroffen. Der Wachmann, der auf der gleichen Seite der Brücke am nächsten an der Kette stand, rannte zu seinem verletzten Kameraden hin. Juste schoss ihm knapp unter der Achsel in den Rücken. Tannhäuser spannte den Bogen und schoss dem dritten Wachmann aus fünfzehn Fuß Entfernung in die Brust. Der Mann hatte sich nicht bewegt, aber nun war die östliche Seite der Brücke freigeräumt.
    Tannhäuser legte einen Pfeil ein und zielte auf die Männer, die nun entlang der westlichen Seite in die Eingänge zurückwichen. Einerwarf seine Hellebarde fort. Die anderen hielten es für weise, es ihm nachzutun.
    Juste bewegte den Schaft seines Pfeils mit beiden Händen hin und her, als er versuchte, ihn aus den Rippen seines zappelnden Opfers zu reißen. Der Mann keuchte mit jedem Schrei Blut hoch. Tannhäuser schlug Juste auf die Schulter.
    »Eine gute Angewohnheit, aber lass den Pfeil hier. Los, wir kommen schon noch nach Polen.«
    »Gehen wir nach Polen?«
    »Heute Abend nicht mehr. Aber Polen ist ja auch morgen noch da.«
    Tannhäuser zog den Jungen zum Wagen zurück.
    »Grégoire«, sagte er, »fahre einen Umweg um den nächsten Brückenkopf.«
    »Dazu müssen wir die Straße überqueren, die quer über die Insel führt. Da könnten sie uns sehen.«
    »Das wäre dann ihr Pech.«
    Tannhäuser kletterte auf den Bock.
    »Bring uns zu den Kais von Saint-Landry.«
    Sie fuhren Richtung Süden und bogen dann nach Osten in die Straße ein, über die sie zuvor gekommen waren. Auf halber Höhe sah Tannhäuser Fackelträger nach Süden über die Kreuzung ziehen. Dunkle Gestalten marschierten vorüber. In Zweierreihen. Noch mehr Fackeln. Ein rotweißes Banner.
    Die Pilger von Saint-Jacques.
    Tannhäuser nahm die Armbrust wieder zur Hand.
    »Grégoire, gibt es einen Engpass zwischen dieser Straße und den Kais?«
    Grégoire überlegte. »Nein.«
    »Kann Clementine durch diesen Trupp hindurchpreschen?«
    »Wenn ich es ihr sage.«
    Die Pilger würden einige Minuten brauchen, um sich neu zu ordnen.

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