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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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ließ Grymonde Zeit, darüber nachzudenken.
    »Wir brauchen einen Steuermann. Juste? Hugon? Könnt ihr ein Boot steuern?«
    Hugon schüttelte den Kopf. Juste zog die Sehne seines neuen Bogens bis zum Ohr.
    »Ich habe es noch nie versucht, aber ich mache es.«
    »Durch drei Brücken navigieren, das ist nichts für einen Anfänger.«
    »Ich kann rudern«, sagte Pascale.
    »Und ich kann mit Booten umgehen«, fügte Carla hinzu, »wie du sehr wohl weißt.«
    Tannhäuser hatte gehofft, ihr diese Arbeit zu ersparen. Er nickte.
    »Das langt. Legt euch hin, alle miteinander.«
    Er kletterte neben Grégoire auf den Bock und verstaute die Armbrust hinter sich. Er sah, wie der unglückselige Färber das Gleichgewicht verlor und umfiel. Er nickte Grégoire zu. Der Wagen rollte vorwärts durch die Reste des Gemetzels.
    »Da liegt ein Mann, dem ein Bein fehlt. Trenn ihm das andere mit dem Wagenrad ab.«
    Ehe sie den Färber erreichten, hörte man unter dem Wagen hervor einen leisen Schmerzensschrei. Der Wagen war zu schwer, als dass sie viel von dem Aufprall gemerkt hätten. Das Hinterrad bewirkte einen neuen Schrei der Verzweiflung.
    »Die Knöchel des Herrn Anführers sind perdu«, sagte Hugon. »Jetzt versuch mal, uns zu jagen, du Mistkerl.«
    Tannhäuser drehte sich um. Hugon johlte dem Ladenbesitzer etwas zu.
    »Hugon, leg dich hin.«
    Der Färber schrie zweimal auf, als Knochen und Muskeln unter den Rädern zermalmt wurden.
    »Warum hast du die hier nicht umgebracht wie all die anderen?«, fragte Hugon.
    »Er will, dass sie langsam sterben«, erklärte Pascale. »Wenn die Milizmänner vom Fluss hochkommen und sie da schreiend vorfinden, verschwenden sie erst mal Zeit. Und kotzen vor Angst.«
    Als wollte er ihre Worte bestätigen, brüllte der Färber erneut auf.
    »Ein Feuerkahn?«, spottete Grymonde. »Das ist ein törichter Plan für Narren.«
    »Dann sind wir ja für die Arbeit bestens geeignet«, meinte Tannhäuser.
    »Sie werden uns vom Louvre aus beschießen.«
    »Der König wollte nicht, dass aus seiner Hauptstadt ein Schlachthof wurde. Die Miliz ist ihm außer Kontrolle geraten, und es ist ihre Schiffsbarriere, nicht seine. Die Palastwache wird ohne direkte Befehle nicht eingreifen. Und wenn wir nicht aus Paris heraus sind, ehe sie diesen Befehl bekommt, sind wir tote Leute.«
    Tannhäuser packte einen Pfosten unter den Kutschbock und trat rückwärts hinunter auf das Ortscheit. Als sie an der heruntergefallenen Laterne vorbeifuhren, beugte er sich hinunter und hob sie auf.
    »Es wird ewig dauern, bis die Barriere Feuer fängt und richtig brennt«, sagte Grymonde.
    »Ich weiß.«
    »Aber du schlägst mir vor, nur mit einer Stakstange bewaffnet an Bord dieses Höllenschiffs zu gehen.«
    »Keine Sorge, mein Infant. Wir werden beide auf dem Höllenschiff sein.«
    »Gehört ein weiterer Stein der Unsterblichkeit auch zu dem Handel?«
    Tannhäuser wickelte noch eine Opiumkugel aus und biss sie in zwei Stücke. Die eine Hälfte verstaute er wieder, die andere rollte er zu einer Kugel. Er reichte Hugon die Pille. Grymonde schaute mit leeren Augenhöhlen zu.
    »Kann ich eine probieren?«, fragte Hugon.
    »Du bist nicht verletzt«, sagte Estelle. »Gib mir den Stein der Unsterblichkeit.«
    »La Rossa, mein Schatz, lass sie bitte nicht fallen.«
    Die Pille erreichte Grymondes Mund. Er knurrte verächtlich.
    »Blinde übervorteilen, was? Wie gut du dich schon an Pariser Sitten gewöhnt hast.«
    Die Kette über den Pont au Change war nicht bewacht. Es war immer noch Zeit, die Porte Saint-Denis zu erreichen. Hatte man vielleicht Verstärkung an das nördliche Ende der Brücke geschickt?
    »Grégoire, halt an. Juste, gib mir Frogiers Bogen und bring deinen eigenen mit.«
    Er zog das Hemd aus. Das eingetrocknete Blut kratzte ihn in der Achsel. Und wenn man jemandem Angst einjagen wollte, dann war nur eine Rüstung noch besser als blutbeschmierte Haut. Vielleicht nicht mal die. Er legte das Hemd auf den Wagen. Heute Nacht war die Uniform des Teufels wirksamer.
    Tannhäuser schwang sich vom Kutschbock und griff zusammen mit dem Bogen noch vier Pfeile mit der Linken. Während er zur Kette ging, legte er den fünften Pfeil ein. Die Brücke war eine Straße, die Straße der Geldwechsler, die Straße des Geldes. Sie war wohl die am besten beleuchtete Straße in Paris. Bei etwa jedem sechsten Laden stand ein Wachmann, und alle hatten sie Laternen. Er würde an fünf oder sechs vorbeigehen müssen, ehe er das andere Ende auch nur sehen

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