Die Blutnacht: Roman (German Edition)
entlang zu schauen.
»Ziele tief«, sagte Carla.
»Das mache ich, auf die Eier. Wenn Ihr zurückkehrt, bringt bitte die Laternen mit.«
Carla lehnte sich hinter der Tür an die Wohnzimmerwand. Sie sah, wie Hugon über dem offenen Gambenkasten kauerte, als enthielte er einen kostbaren Schatz. Was natürlich auch so war. Er schaute hoch, schien weder ängstlich noch schuldbewusst zu sein. Die grotesken Ereignisse, in die er hineingezogen worden war, hatten anscheinend keinen besonderen Eindruck auf ihn gemacht. Er klappte den Deckel zu, befestigte die Messinghaken und nahm die Tragriemen.
»Ich sehe, wie man die Saiten aufspannt«, sagte er, »aber wie dehnt man sie?«
»Du meinst, wie stimmt man sie, so dass sie miteinander harmonieren?«
Der Schuss ließ das Haus erbeben. Pulverdampf quoll ins Wohnzimmer.
»Hugon, mach das Fenster auf. Bring die Laterne da in die Küche und nimm den Sack hier drüben mit. Pack alle Lebensmittel ein, die du finden kannst.«
Carla nahm die andere Laterne. Sie sah die Mäuse. Sie saßen am Tisch und machten ein Fingerspiel. Sie hatten die Gabe, die Außenwelt völlig aus ihrer eigenen Welt auszuschließen. Zweifellos hatten sie das zum Überleben gebraucht. Carla hatte noch kein Wort mit ihnen gewechselt, aber sie hatte die Mädchen liebgewonnen. Sie schaute in die Küche. Pascale stand noch aufrecht da. Sie säuberte den Lauf des Gewehrs mit dem Stopfer. Auf dem Tisch hatte sie das Pulverhorn, ein Säckchen mit Kugeln und zwei große Pistolen aufgereiht.
»Danke, Madame. Das Handtuch und die Kreisbewegung haben sehr geholfen. Einen habe ich erwischt und unter den anderen Verwirrung gestiftet. Bitte stellt die Laterne auf den Tisch.«
»Auf dem Tisch ist Schießpulver.«
Carla stellte die Laterne auf den Herd und ging zum Fenster.
Zwei massige Gestalten rannten auf einen verwirrten Haufen Milizmänner zu. Rennen konnte man es eigentlich nicht nennen. Unter anderen Umständen hätte es komisch gewirkt. Mattias hieltGrymonde hinten am Gürtel und schob ihn vorwärts, während Grymonde seine Beine unnatürlich weit hochschleuderte und sich in großen, unbeholfenen Schritten vorwärts bewegte. Jede dieser Bewegungen musste schmerzhafter sein als eine weitere Pfeilwunde. Er brüllte die Milizmänner an, doch in den Schreien lag keine Qual, nur eine so erbitterte Wut, dass es fast wie Freude klang.
Amparo stieß einen kleinen Schrei aus. Carla schaute zu ihr hinunter. Ihre Augen waren halb offen, und zwei winzige Lichtpünktchen blitzten. Die Zungenspitze schaute zwischen ihren Lippen heraus.
»Meine kleine Schönheit kann noch nicht wieder Hunger haben.«
Ob Amparo wirklich Hunger hatte oder nicht, Carla fühlte sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen. Vielleicht würden sie nie wieder die Gelegenheit bekommen, dieses Vergnügen miteinander zu teilen, das Schönste was sie je erlebt hatten. Sie hörte Alices raues Lachen. Carla legte ihre linke Brust frei, hob Amparo an die Brustwarze, und nun waren sie alle drei in ihrem Entzücken vereint.
Estelle kam von den Kais gelaufen und stürzte zur Tür herein. Carla hörte Grymonde jetzt deutlicher. Sie bezweifelte, dass jemand außer ihr in diesen Geräuschen Worte oder gar einen Sinn hätte ausmachen können. Noch nie hatte man solche Laute vernommen. Aber keine andere lebende Seele kannte ihn so gut wie sie. All seine Scham, all sein Stolz, all seine Reue lagen in diesem Laut. Sie hörte, wie Grymonde den Namen seiner Mutter schrie, ehe er sich ins Feuer stürzte.
KAPITEL 39
D IE K AIS VON S AINT- L ANDRY
Zumindest waren die Kais gepflastert.
Tannhäuser klemmte sich die Partisane unter den linken Arm. Nie zuvor hatte jemals ein Ritter einen solchen Angriff geführt und so ein wildes Ungetüm gezügelt. Der geblendete Infant zerrte ihn hinter sich her, und es kostete ihn große Mühe, ihn vom Wasser wegzusteuern. Tannhäuser erwartete bei jedem Schritt, dass Grymonde hinfallen würde, aber der Mann stürmte voran wie ein wilder Stier.
Die Mannschaft des kleineren, weiter entfernten Boots stand bereits auf dem Kai. Das Fischerboot war noch mit Pilgern überfüllt. Als die beiden Männer an diesem Boot vorüberkamen, lehnte sich der erste Pilger, der an Land gehen wollte, vor und legte beide Hände auf die Steine des Kais. Tannhäuser stieß ohne Vorwarnung mit der Partisane in seine Richtung, und eine der Seitenklingen erwischte den Mann an der Nasenwurzel. Der Hieb streifte ihn nur, warf ihn aber in einem Schauer aus Blut
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