Die Blutnacht: Roman (German Edition)
nicht viel Kraft in diese Gegenwehr legen, und die Wohltaten des Opiums hatten sich noch nicht eingestellt. Tannhäuser rammte ihn gegen Justes Rücken, und Grégoire blieb oben.
Tannhäuser schwang sich hinter den beiden Jungen in den Sattel und nahm die Partisane und die Zügel in die Linke. Er hielt Juste den Schaft der Waffe quer über die Brust, um den Jungen am Fallen zu hindern. Grégoire war fest zwischen ihnen eingeklemmt. Tannhäuser nahm die Fackel aus der Halterung am Wagen.
»Luzifer!«, rief Juste. »Sieh nur, Grégoire! Er ist wieder da!«
Der kahle Hund schnüffelte auf der Straße herum, als müsste er überprüfen, ob alles ruhig und friedlich war. Er warf einen misstrauischen Blick auf das Pferd, als wollte er seine Gebrechlichkeit einschätzen, und nahm dann seine übliche Position ein.
»Siehst du, Grégoire?«, fragte Tannhäuser. »Er mag ja verachtenswert sein, aber Luzifer bleibt doch seinen tapferen Freunden treu.«
»Luzifer ist nicht verachtenswert«, erwiderte Juste.
Tannhäuser gab Clementine einen guten Tritt mit den Fersen. Sie rührte sich nicht vom Fleck.
»Clementine«, rief Grégoire.
Die Stute stolperte mit ungelenken Schritten vorwärts. Tannhäuser klopfte ihr mit dem Ende der Fackel auf die Kruppe, und sie brach in einen schmerzlichen Trab aus. Grégoire wurde durch diese Bewegung nicht weniger schrecklich bestraft. Der Junge unterdrückte jedes Mal einen Schmerzensschrei, wenn die Hufe auf dem Boden landeten. Jedes Mal spürte Tannhäuser, wie der Stumpf gegen sein Bein schlug. Er hielt das Pferd in Bewegung.
Sie ritten an zwei Toten auf dem Marktplatz vorüber. Tannhäuser bemerkte, wie sie zugerichtet waren, mit den eigenen Schwertern durchbohrt. Die Tochter des Druckers, jetzt seine Tochter, hatte ihren Namen erneut unauslöschlich in sein Herz gebrannt. Die Lampe, die er beim Stall hinterlassen hatte, brannte noch, aber er hielt sich geradewegs in nördliche Richtung. Jenseits des Marktplatzes lag der Kai, an dem die Lebensmittel ausgeladen wurden. Er erreichte den Fluss, wandte sich nach Osten und folgte dem Verlauf des Ufers. Er sah Lichter und Gruppen von Männern am Rand der Place de Grève, wo er vorhin mitbekommen hatte, wie sie ihre Totenkarren abluden. Sie schauten auf etwas an seinem Ufer, aber nicht zu ihm hin.
Tannhäuser ließ die Fackel in einem Gemüsegarten fallen.
Er umrundete die Biegung des Flusses und sah die beiden Kähne. Kein Anzeichen von Carla und ihrer Gruppe am Kai. Er bemerkte Lichter auf dem Wasser. Ruder wurden hochgehoben und verstaut, als ein Ruderboot hinter dem Kohlenkahn ans Ufer glitt. Fünf oder sechs Männer an Bord. Ein größeres Boot, ein Fischerboot, war nicht weit dahinter. Es war gefährlich überladen, aber sie hatten sich ja auch kaum fünfzig Schritt aufs Wasser hinausgewagt.
Tannhäuser hielt Clementine an, und sie prustete, als befolgte sie diesen Befehl nur zu gern. Er schwang sich vom Pferd, führte die Stute in den Schatten hinter den Häusern und reichte Juste die Zügel. Es fiel ihm kein kluger Ratschlag ein. Die Jungen hätten ohnehin nicht gewusst, was sie damit anfangen sollten.
Er ging im Schatten durch die schmalen Gärten vorwärts.
Pascale brauchte keine klugen Ratschläge. Sie hatte Carla und die anderen mitgenommen, damit sie sich bei Irène versteckten. Und es würde funktionieren. Die Miliz hatte auf den Kais nichts zu suchen. Das Fischerboot gefiel ihm. Wenn es einen Mast und ein Segel hätte – und so wie es gebaut war, hatte es die –, dann konnte es sie bis nach Bordeaux bringen.
Er wollte es haben.
Er verlangsamte seine Schritte. Das erste Boot machte fest, und die Milizmänner kletterten heraus, als das Fischerboot an ihnen vorbeiglitt, um hinter dem Kohlenkahn anzulegen. Sie waren dreißig Schritte entfernt, wurden von ihren eigenen Laternen geblendetund durch ihr müßiges Geschwätz abgelenkt und waren sich keiner Gefahr bewusst. Er blieb stehen. Sollten sie doch das Fischerboot festmachen und gehen. Er sah Hände, die das Landetau durch einen Eisenring zogen. Er musste die Jungen vom Kai wegbringen und verstecken. Er wandte sich um.
Ein Zischen. Ein Flüstern. Sehr nah.
»Tannser!«
Er fuhr herum. Ein riesiger Kopf tauchte beinahe vor seiner Nase aus dem Dunkel auf.
Estelle saß nicht auf Grymondes Schulter.
Tannhäuser spürte, wie sie seine Hand griff.
In Grymondes Händen sah er ein Messer.
»Mein Infant. Du und Estelle, ihr solltet nicht im Freien sein.«
»Vielleicht,
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