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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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aber wie du bemerkt hast, bin ich draußen.«
    »Wartet hier, bleibt leise.«
    »Wenn ich in deinen Plänen keine Rolle spiele, dann habe ich einen eigenen Plan.«
    »Estelle, sag mir, was hat der Infant vor?«
    »Ich soll ihn auf die Soldaten zu schieben und dann wegrennen und mich bei Irène verstecken.«
    »Pläne, die einem das Opium eingibt, sollte man am besten in Ruhe und Frieden genießen«, sagte Tannhäuser. »Wartet hier.«
    »Dann musst du mich umbringen.«
    »Mein Infant, du hast keine Augen.«
    »War ein Mann mit Augen nötig, um die Philister zu zermalmen?«
    Grymonde hatte vergessen, dass er flüstern sollte, und am Kai fuhren Köpfe in ihre Richtung herum. Laternen wurden hochgehoben. Schwerter gezückt. Kampfrufe ertönten. Die Lichter im zweiten Boot tanzten auf und ab.
    Tannhäuser wollte das Fischerboot haben.
    Eine Flamme schoss aus einem Haus in der Nähe. Das war sein eigenes Gewehr. Eine Gestalt löste sich aus der Gruppe der an Land gegangenen Milizmänner und fiel in den Fluss.
    »Estelle, du rennst jetzt und versteckst dich. Ich schiebe Grymonde.«



KAPITEL 38

E IN BISSCHEN T HEORIE
    »Ich wusste, dass er kommen würde.« Pascale stand Wache am offenen Küchenfenster. »Die Milizsoldaten sind aus dem ersten Boot ausgestiegen. Er hat Grymonde gefunden.«
    Carla beobachtete, wie sie Mattias’ Gewehr hochwuchtete und den Lauf auf das Fensterbrett legte. Carla hatte gesehen, welchen Schaden dieses lange Gewehr an einer auf den Rückstoß nicht vorbereiteten Schulter ausrichten konnte und dass es manchmal nicht das beabsichtigte Ziel zerstörte. Sie wollte nicht, dass Pascale aus Versehen Mattias erschoss. Aber sie wollte sich auch nicht einmischen, nicht zuletzt, weil sicherlich jeder Ratschlag genauso unfreundlich abgelehnt würde wie die Vorschläge, die sie Grymonde gemacht hatte. Sie hatte nicht das Recht, mit den beiden zu hadern. Ihre eigenen Entscheidungen waren genauso waghalsig gewesen. Der Wahnsinn hielt sie am Leben.
    Carlas Aufgabe war, die Ruhe im Auge des Sturms zu schützen.
    Grymonde hatte recht: Amparo war diese Ruhe inmitten des Sturms.
    Es war ziemlich dunkel in der Küche, bis auf den schwachen Lichtschein aus dem Wohnzimmer, wo sie die Fackel und die Laternen gelassen hatten und wo Hugon und die Mäuse warteten. Carla tastete auf dem kalten Herd hinter sich herum und fand ein grobes Handtuch. Sie faltete es zusammen und trug es zum Fenster.
    »Pascale? Polstere den Kolben damit. Wenn du schießt, dann spanne die Schulter ganz fest an.«
    Pascale hatte Todesangst. Carla auch. Carla wusste, dass Angst einen zu sehr erschöpfte und dass man sie nicht lange aushalten konnte. Sie hatte gelernt, wie sie die Angst in den tiefsten Tiefen ihrer Gedanken toben lassen konnte. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der seine Angst in einen solchen Zustand der Konzentration und des Entzückens umwandeln konnte wie Pascale. Das Mädchen hatte von Natur aus leicht vorstehende Augen; zusammen mit der Lücke zwischen den Schneidezähnen machte sie das nicht gerade hübsch; und ihre gegenwärtige Entschlossenheit war an sich schon furchterregend. Carla hatte das bemerkt, als sie hier über die Straße angekommen waren und Pascale mit einer Anstrengung, die ihre Kraft weit zu übersteigen schien, den toten Sergent zur Kellertür gezerrt und die Treppe hinuntergerollt hatte. Sie hatte noch eine tote Frau hinterhergeschoben. Pascale nahm das zusammengeballte Tuch.
    »Vielen Dank, Madame. Habt Ihr dieses Gewehr jemals abgefeuert?«
    »Nein, aber ich weiß ein wenig über die Theorie. Du stehst zu gerade, und deine Füße sind nicht weit genug auseinander. Wenn du den rechten Fuß ein bisschen zurücknimmst und das vordere Knie beugst, kannst du dich mit dem Rückstoß drehen, anstatt ihm nur Widerstand zu leisten. Sonst könnte er dich sogar verletzen.«
    Pascale machte, was sie ihr vorgeschlagen hatte, und nickte.
    »So wird aus der Geraden eine Kreisbewegung«, sagte Carla. »Dann schlägt dich der Rückstoß nicht zurück.«
    Pascale machte die Bewegung. »Aus der Geraden einen Kreis machen.«
    »Ich zitiere Mattias. Er hat auch gesagt: Aber du musst schnell sein.«
    »Ich bin schnell.«
    Sie wandten sich beide einem Schrei zu, der am Kai erschallte.
    »Man hat sie entdeckt«, sagte Pascale. »Geht ins Wohnzimmer.«
    Carla hatte sich schon auf den Weg gemacht, um Amparo den Rauch und den Krach des Schusses zu ersparen, zumindest den größten Teil. Pascale beugte sich herunter, um am Lauf

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