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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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schmerzverzerrt, doch es fehlte ihm die Kraft, um zu schreien. Vorhin hatten Grégoires Schreie Tannhäuser bis in die tiefste Seele getroffen; jetzt hätten sie ihn beruhigt.
    »Hervé, halte ihn ganz sanft, als wäre er das Jesuskind.«
    Hervé nahm ihn in die Arme. »Der arme Kerl. Ich habe ihn wegen dem Hund gewarnt.«
    »Luzifer hat ihm das Bein nicht abgebissen«, sagte Juste.
    »Das glaube ich auch nicht, junger Herr, aber der Hund hat den bösen Blick.«
    Tannhäuser hob Juste herunter.
    »Luzifer hat uns nach Cockaigne geführt«, sagte Grégoire. »Er hat das Kind gefunden.«
    »Er redet wirr, Sire. Es sieht ziemlich schlimm aus.«
    »Halt den Mund«, sagte Tannhäuser. »Der Junge braucht Ruhe.«
    Tannhäuser beugte sich zum Sattelgurt. Clementines Bauch war so aufgedunsen, dass er den Finger nicht darunter bekam. Er schnallte den Gurt auf, und Clementine taumelte vor Erleichterung. Tannhäuser nahm den Sattel und die Decke herunter und breitete sie auf dem Kai aus. Er legte Grégoire auf die Decke und stützte den Oberschenkel und das Knie des verletzten Beins auf dem Sattel ab. Juste saß im Schneidersitz daneben und hielt Grégoires Hand. Tannhäuser gab ihm den Weinschlauch.
    »Schau mal, ob du ihm einen Mundvoll geben kannst. Nimm dir auch.«
    Tannhäuser musterte den Kohlenkahn. Er war bis zum Rand mit klaffenden Säcken voller Holzkohle angefüllt, bis etwa vier Fuß von der Ruderpinne entfernt. Die Säcke waren unten feucht vom Regen. Der Plan, den er sich ausgedacht hatte, hätte von Grymonde im Opiumrausch stammen können. Er nahm einen der Kohlebrocken in die Hand. Er krümelte ganz leicht. Für die Verhüttung war diese Kohle nicht gut genug, aber dafür würde sie sich leichter entzünden lassen. Das Problem war nur, wie man sie überhaupt ans Brennen bekam.
    »Das muss ein paar Franc wert sein, Sire.«
    Tannhäuser musterte Hervé.
    »Hervé, ich habe Arbeit für dich.«
    »Da findet Ihr keinen willigeren Helfer, Sire.«
    Tannhäuser begleitete seine Worte mit Handbewegungen.
    »Nimm zwei von den Säcken da hinten und leere sie auf die Säcke, die weiter vorne im Kahn sind, schütte die Kohle auf die Mitte, schön lose, etwa zwei Handbreit tief. Bedecke die Oberseite von ungefähr sechs Säcken, längs über den Kahn verteilt. Verstanden?«
    »Ausschütten, aufschichten, Sire. Das braucht ihr mir nicht zweimal zu sagen.«
    »Nimm noch mehr Säcke von hinten und mache zwei Reihen, lege die Säcke Ende an Ende aneinander, zu beiden Seiten des Kohlebetts, und wieder über die ganze Länge des Kahns verteilt.«
    »Es würde mir helfen, wenn ich wüsste, was wir vorhaben, Sire.«
    »Ich will es anzünden.«
    »Schon verstanden, Sire.«
    Tannhäuser nahm die Partisane und führte Clementine in einen nahe gelegenen Garten. Die Jungen waren zu sehr in ihrem eigenen Schmerz und in ihrer Müdigkeit versunken, um ihn weggehen zu sehen. Er brachte die Stute zum Stehen und griff die Waffe kurz, den Schaft über die Schulter gelegt. Die Stute schaute ihn an.
    »Du hättest ein besseres Leben und einen besseren Tod verdient, aber da bist du nicht die Einzige.«
    Clementine schien mit seinem Abschiedsgruß zufrieden zu sein. Sie wandte den Kopf ab. Tannhäuser stieß ihr die Klinge hinter dem Kiefer glatt in den Hals und spürte, wie sie das Rückgrat berührte. Er warf den Arm über den Schaft und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf. Die Stute taumelte zur Seite, ihre Vorderbeine knickten ein, und er sprang zurück, als sie auf ihn zu sackte. Ein ungeheurer Schwall Blut ergoss sich über seine Stiefel, und er spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Diese Erinnerung daran, dass er noch Reste von Menschlichkeit in sich hatte, war ihm beinahe willkommen. Clementine verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war, ihre Brust hob sich, und Blut quoll ihr aus der Luftröhre. Tannhäuser blinzelte eine Träne aus den Augen. Wenn er Menschenblut vergoss, konnte er sich derlei Gewissensbisse nichtleisten. Er wischte die Partisane an der vernarbten, zitternden Haut sauber, wandte sich ab und überließ die Stute ihrem Dahinscheiden.
    Er ging an Bord des Fischerboots. Es roch nach Fisch und Teer. Drüben am rechten Ufer hatten sie die Auswahl unter vielen Booten gehabt, und jemand hatte sich gut ausgekannt. Klinkerbauweise, fünfzehn Fuß lang, viereinhalb Fuß in der Breite. Eine lange Rah und ein Drehgelenk am Hauptmast, also ein Lateinersegel, mit dem er sich gut auskannte. Man konnte die

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