Die Blutnacht: Roman (German Edition)
lange am Leben zu bleiben, dass deine Kameraden noch etwas von dem Schauspiel haben.«
Tannhäuser stieß die Fackel in das Anmachholz und blies darauf. Rauchspiralen stiegen auf. Er trat zurück und zur Seite. Flammen schossen aus beiden Seiten der Feuergrube. Das Öl auf den Säcken unter dem Tisch fing Feuer, und hellgelbe Fetzen flogen zum Himmel. Hervé streckte die Arme nach unten, zerrte an den Knoten, die ihm in die Fußgelenke schnitten. Diese Bewegung klemmte ihn nur noch tiefer in sein feuriges Grab. Über das Knistern und Prasseln des Feuers hinweg winselte er um Gnade. Tannhäuser ging zum Heck zurück.
Tausend Schritt bis zur Barriere. Tannhäuser schätzte, dass die Strömung weniger als drei Knoten war. Mit der Stakstange und den Rudern würden sie weniger als zehn Minuten brauchen. Er rollte die Schultern. Er stieß sich mit der Stange vom Kai ab. Der Kahn glitt in den Strom und überholte das Fischerboot.
Grymondes Augenhöhlen bohrten sich über das Wasser hinweg in seine Augen. Tunnel völliger Dunkelheit. Grymondes Lächeln war fürchterlich. Er winkte mit einer Rolle Packpapier.
»Dieses Lachen wirst du noch unter Wasser hören, mein Freund. Wir haben die Glückshaube dabei.«
KAPITEL 40
G EISTER DER REULOSEN V ERDAMMTEN
Carla steuerte auf das Feuer zu, das vor ihr über den schwarz-silbernen Fluss glitt, auf den wilden und blutbesudelten Fährmann zu, dessen Gestalt vor den Flammen bebte und flirrte, die er aus Holz und Menschenknochen angezündet hatte. Er fuhr unter dem Pont Notre-Dame hindurch, und die Flammen füllten den ganzen Steinbogen aus. Carla konnte jenseits davon nichts mehr sehen, als wäre das Feuer alles, was vor ihm lag und was er denen versprechen konnte, die ihm nachfolgten. In Malta war er ihr ins Feuer gefolgt, nur wegen eines Versprechens, das ein Musikstück gegeben hatte. Dasselbe hatte er hier in Paris getan.
Carla begriff, dass sie das Feuer war. Sie war sein Feuer.
Ihre Liebe zu ihm schnürte ihr den Hals zu. Sie schluckte.
»Grymonde, Ruder ins Wasser, fahr los.«
Grymonde hatte die Rolle des einzigen Ruderers beansprucht, und Carla hatte nicht mit ihm darum gestritten. Er machte nur wenige Ruderschläge, aber jedes Mal schoss das Wasser zu beiden Seiten in Fontänen in die Höhe. Er zog die Ruder zu sich hin, beugte sich vor und knurrte Worte, die sie nicht hören konnte.
Das Boot war mit so viel Schmerz beladen, dass es ein Wunder war, dass es nicht sank. Die beiden Jungen lagen nebeneinander im Kielraum, als könnte die Nähe ihnen helfen, den Schmerz zu lindern. Pascale hatte ihre Schwester und ihren Vater verloren und trug andere unsichtbare Wunden, die ihr wohl noch gar nicht bewusst geworden waren. Carla wusste wenig über das Leben von Agnès und Marie, aber das Wenige reichte. Estelle saß mit Amparo unter dem Hemd zu Carlas Füßen. Beide schienen in dem Zauber, den sie aufeinander ausübten, völlig glücklich, und doch hatte auch Estelle unaussprechliche Grausamkeiten miterlebt und verübt. Und Amparo, ihr Kind? Sie hatte mehr als alle anderen dazu beigetragen, sie alle zusammenzuführen. Was hatte sie gefühlt und gesehen?
Carlas Liebe zu ihrem Kind schnürte ihr den Hals zu.
Die Liebe zu all ihren Kindern.
Das Fischerboot ließ sich leicht steuern, als sie es unter die Brücke lenkte. Wegen des Regenwassers war die Strömung stetig. Mattias und seine Flammen segelten bereits unter dem Pont au Change.
»Grymonde, drei Schläge, dann Ruder einziehen.«
Als sie auf die nächste Brücke zusteuerten, sah Carla die Leiche einer Frau, die sich an den Pfeilern verfangen hatte. Die Frau war nackt, hatte klaffende Wunden, und ihr weit offenstehender Mund drückte unendlichen Schrecken aus.
Die Schaufelräder der Wassermühlen drehten sich kaum drei Bootslängen entfernt, näher als sie es erwartet hatte. Mattias steuerte den Kahn zwischen den beiden südlichsten Rädern hindurch. Sie folgte ihm über die Gischt, und der Fluss öffnete sich vor ihnen. Der silberne Schimmer des Mondlichts, der das Wasser zu teilen schien, reichte bis zur Schiffsbarriere. Der größte Teil der Sperre war durch die Inseln verborgen. Vom rechten Ufer bewegten sich langsam Fackeln und Laternen über die niedrige schwarze Linie der zusammengeketteten Boote.
»Grymonde, zieh!«
Carla steuerte das Boot parallel zum Kahn. Mattias hatte die Ruderpinne zwischen die Knie geklemmt und stakte ohne Hast. Er schaute über die Schulter zurück und winkte. Der Bug sah aus wie
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