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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Gesicht zum Halt. Doch Garniers Todesschmerz fesselte die Zuschauer mehr als dieser Anblick.
    Tannhäuser legte einen weiteren Pfeil ein. Solange die Pilger noch den Fall ihres Hauptmanns begafften und ehe sie dieses Spektakel zum Kampf provozierte, gab ihnen Tannhäuser noch etwas Neues zu bestaunen.
    »Hol das Tuch, Mann! Jetzt! Oder ich strecke dich auf der Stelle nieder und suche mir einen anderen Boten.«
    Orlandu schaute ihn an. Er erwartete nicht, dass auf ihn geschossen würde, aber er verstand schon. Er nickte. Er drehte sich um und ging die Treppe hinauf.
    »Lass deine Trophäe liegen. Deine Kumpane können sie später bewundern.«
    Die Drohung und die Andeutung, dass der Kopf der eines unglückseligen Hugenotten war, sollte die Maskerade vervollständigen. Tannhäuser beobachtete die Zuschauer.
    Orlandu beugte sich hinunter und zog den Schal unter Garniers Körper hervor. Wenn Garnier wusste, dass Orlandu kein Pilger war, so brachte er diese Tatsache nur mit einem Grunzen zum Ausdruck. Orlandu ging am Rande des Platzes entlang zum Anlegesteg. Einige Pilger murmelten ihm ermunternde Worte zu. Orlandu trat in den Leichter. Er schaute Tannhäuser an.
    Tannhäuser winkte ihn zu sich, die Augen noch auf die Menschenmenge gerichtet.
    Orlandu schritt über die ganze Länge des Bootes, und Tannhäusertrat zurück. Orlandu kletterte über die Kette und ins Heck. Er hielt ihm das Tuch hin. Er hatte Angst; er war krank; er war schwach; und er verbarg all das sehr gut. Aber nicht vor Tannhäuser.
    »Gib deiner Mutter das Tuch.«
    »Von mir wird sie es wohl nicht annehmen.«
    »Carla würde es von dir annehmen, wenn es mit der Pest verseucht wäre. Ich habe ihr gesagt, dass du versuchst, uns Zeit zu schinden, die wir nicht brauchen. Da du uns sehr viel davon verschafft hast, hat du keinen guten Grund mehr, das zu bestreiten.«
    »Ist die Wahrheit kein guter Grund?«
    »Die Wahrheit dient nur deiner Eitelkeit. Carla hat bereits ein Kleinkind zu versorgen.«
    Orlandu zuckte zusammen.
    »Du hast bewiesen, was du mir beweisen wolltest«, sagte Tannhäuser. »Wenn du es nicht auch dir bewiesen hast, dann war die ganze Unternehmung ein Misserfolg, und du bist immer noch ein kleiner Junge. Entscheide selbst! Deine Mutter braucht nur zu wissen, dass du noch lebst. Also bitte ich dich, von Mann zu Mann, ihr deine Schuldgefühle zu ersparen, und deine metaphysischen Zweifel und all den anderen Mist, mit dem man dich in letzter Zeit gefüttert hat.«
    Orlandu stopfte das Tuch in seine Schlinge.
    »Ich habe Zeit geschunden, die ihr nicht gebraucht habt.«
    »Wir haben sie nicht gebraucht, um hier fortzukommen. Aber ich bin dankbar für jede Minute.«
    Orlandu verstand das nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, was seine Rückkehr für Carla bedeutete. Dieses Unwissen war das Vorrecht eines Sohns, und eine gewisse Dummheit war das Privileg der Jugend.
    »Ich bin auch dankbar für Dominic«, sagte Tannhäuser, »wenn das tatsächlich sein Kopf ist.«
    Orlandu zog ein Messer aus der Schlinge und schnitt sich die Bänder vom Arm.
    »Es war das Grässlichste, was ich je gemacht habe.«
    »Es freut mich, das zu hören. Deine Mutter muss es nicht erfahren.«
    »Das wird sie nicht.«
    Tannhäuser schlug ihm ermunternd auf den Rücken und trat zur Seite.
    »Sag Grymonde, er soll die Sperre brechen.«
    Orlandu ging vorbei. Beinahe hätte ihm Tannhäuser gesagt, er solle nicht ins Wasser fallen, aber für einen Malteser, selbst für einen schwerverletzten, wäre das eine zu große Beleidigung gewesen. Er sah ihm hinterher, wie er sich vorsichtig einen Weg durch das Blutbad suchte und über die Lücke zum dritten Leichter herübersprang. Tannhäuser war bis in die Knochen erschöpft, und er war unruhig, aber das war wohl das Privileg seines Alters. Er wandte sich wieder der Anlegestelle zu.
    Das Gespräch zwischen ihm und Orlandu hatte außerhalb der Hörweite der Pilger stattgefunden, obwohl Tannhäuser aus dem Augenwinkel ihre große Verwunderung wahrgenommen hatte. Jetzt hatten sie die Lösung des Rätsels und konnten Verrat zu den vielen Demütigungen hinzuzählen und waren wütend. Die Welle der Flüche und Beleidigungen, die nun zu Tannhäuser herüberschwappte, kam noch mehr von Herzen als zuvor, aber immer noch sah er niemanden, der so kurz vor dem Zubettgehen noch sterben wollte.
    Er frage sich, warum er in seinem Leben so viele solcher Schweine kennengelernt hatte, aber ehe er die Gelegenheit hatte, eine Antwort zu finden,

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