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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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nickte.
    Tannhäuser legte eine Hand auf Grymondes Schulter und drückte sie.
    »Mein Infant, ich habe am Ufer zu tun, mit einem Jungen und einem Eimer.«
    »Du bist ein starrköpfiger Mann.«
    »Heute ist ein guter Tag für Starrsinn. Tu, was Pascale dir sagt.«
    »Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, Befehle von Kindern und Frauen entgegenzunehmen«, sagte Grymonde. »Ich kann es nur empfehlen.«
    »Im Zweifelsfall brich die Sperre für La Rossa und die Nachtigall.«
    Tannhäuser machte sich auf den Weg über die Sperre.
    »Was ist also in dem Eimer da?«, schrie ihm Grymonde hinterher.
    Tannhäuser antwortete nicht. Er wollte Carla nicht noch mehr bestürzen.
    Der letzte Kreis musste nun geschlossen werden.
    Am Platz der toten Affen.



KAPITEL 42

D ER P LATZ DER TOTEN A FFEN
    Tannhäuser nahm Altans Bogen von der Schulter und zog vier Pfeile aus dem Köcher. Die Sehne war blutig, aber die Türken flechten ihre Sehnen genau für solche Bedingungen. Reine Seide, unmittelbar aus dem Kokon, gesponnen und mit Fischleim und Harz versteift. Er legte einen Pfeil ein und blieb bei dem aufgespießten und blutdurchtränkten Leichnam stehen. Der letzte Leichter war leer, ein offenes Grab für jeden, der einen Schritt darauf wagte. Tannhäuser schaute zu den Pilgern, die dreißig Fuß entfernt auf dem Kai standen. Sie schimpften und fluchten, und einer drehte ihm den nackten Hintern hin, aber bei ihren Aufforderungen zum Kampf schwang die Hoffnung mit, er würde sie nicht beim Wort nehmen. Manche waren aufrichtig in ihrem Trotz, aber kaum einer hatte den Schneid, als Erster diesen Krieg zu beginnen.
    Insgesamt wollten sie nur, dass er bald fort wäre.
    Hundert Fuß östlich des Kais gab Garnier ziemlich glaubhaft den General, den der Lauf der Ereignisse betäubt hat. Doch es fehlte ihm an der Erfahrung, die einen General zum General macht, gut oder schlecht: dass er eine ungewisse Anzahl seiner Männer in den sicheren Tod schickte und ihnen dabei zusah, wie sie für nichts und wieder nichts starben.
    Dominic hätte das vielleicht besser gekonnt. Aber wenn Tannhäusers Vorahnung stimmte, dann befand sich Dominics Kopf in Orlandus Eimer.
    Er konnte sich keinen anderen Verwendungszweck für den Eimervorstellen, es sei denn, Orlandu wollte die Truppen mit Milch versorgen. Und wenn ein Kopf im Eimer war, dann konnte er sich nicht vorstellen, welcher andere Kopf es sein könnte. Orlandu war von der Brücke zum Hôtel Le Tellier gegangen. Er hatte hinter der Tür bei dem Leichenhaufen gewartet. Als Dominic auf der Suche nach Petit Christian zurückgekehrt war, hatte er den mit dem Kopf seines Vaters geschmückten Kronleuchter gefunden.
    Man brauchte eiserne Nerven, um jemandem das Rückgrat durchzusägen. Besonders, wenn man nur eine Hand nutzen konnte und nur ein Messer hatte. Alle Augen am Ufer waren auf Tannhäuser geheftet, nicht auf Orlandu, aber sie beobachteten den Falschen. Tannhäuser schaute zum Ufer hoch.
    Orlandu bewegte sich durch die verstreuten Pilger hindurch. Sie achteten kaum auf ihn. Er war einer von ihnen, ein Jünger von keinem Geringeren als Marcel Le Tellier. Er hatte sich rote und weiße Bänder um den verwundeten Arm befestigt. Sein Gesicht lag im Schatten, aber Tannhäuser spürte das Licht in seinen Augen. Er musste Tannhäuser und Grymonde und die Kinder und seine Mutter im Fischerboot gesehen haben. Er war zu intelligent, um die Situation nicht zu erfassen, die ihm merkwürdig genug vorkommen musste. Alle Kampfhähne waren geneigt, ohne weiteres Blutvergießen ihrer Wege zu gehen. Sogar Tannhäuser, der sonst längst mitten im Kampfgetümmel gewesen wäre.
    Orlandu war der Mann, der den Schneid hatte.
    Er wollte wiedergutmachen, dass er einen Krieg angefangen hatte. Wie Tausende von Königen vor ihm.
    Er würde Garnier einen Blick auf den Kopf werfen lassen und ihn dann erstechen. Eine großartige Geste auf einer großartigen Bühne, mit aller Wahrscheinlichkeit unmittelbar vom Heldentod, vielleicht gar von Unsterblichkeit gefolgt.
    Tannhäuser verstand das. Nicht nur das Bedürfnis des jungen Manns, begangene Fehler zu sühnen, sondern auch die qualvolle Spannung, deren Reiz jede andere Erfahrung übertraf. Er verstand, warum es sich lohnen konnte, für dieses Gefühl zu sterben. Es bereitete ihm keine Freude, jemand anderem den Wind aus den Segeln zu nehmen; doch Carla würde dafür einen zu hohen Preis zahlen müssen.
    Wenn Tannhäuser ihn zur Schiffsbarriere rief, würde Orlandu vielleicht die

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