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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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dass er daran sterben würde, aber seine Eingeweide mussten sich in seinem Bauch langsam zersetzen. Gerade biss er gegen einen neuen Krampf die Zähne zusammen.
    »Du verlässt Paris also nicht«, meinte Tannhäuser.
    Die blinden Augenhöhlen starrten ihn an.
    »Ich habe Paris mein Leben lang nicht verlassen. Warum sollte ich das jetzt tun wollen?«
    Tannhäuser nahm Pascale die Partisane ab. Er legte sie Grymonde in die Pranke.
    »Gut. Dann kannst du den Teufelsdamm bewachen.«
    Grymonde lehnte sich auf den Schaft.
    »Dann möge es Gott gefallen, dass sie versuchen, ihn einzunehmen, ehe ich gehe.«
    Tannhäuser trat an ihm vorüber und schaute in das Fischerboot hinunter. Agnès und Marie hielten es mit einem Bootshaken fest an der Sperre. Grégoire lag bewusstlos auf den Planken. Estelle saß mit Amparo unter dem Hemd da. Carla hielt das Ruder hart nach Backbord. Sie wusste, dass Juste fortgegangen war. Er konnte sehen, dass sie sich dafür die Schuld zuschrieb. Doch die Reihe der Menschen, die sich um diese Verantwortung stritten, reichte bis Krakau zurück. Er rang sich ein Lächeln ab.
    »Wir sind bald so weit, Liebste. Bereite dich darauf vor, dass die Sperre sich verschiebt.«
    Er musterte die Klampe erneut und machte sich daran, die Hellebarde erneut zu schwingen. Die Kette hatte sich um ein, zwei Zoll verschoben, und jetzt war der Bolzen besser zu erreichen. Tannhäuser hackte die Axtklinge ins Holz und spürte, wie sie den Bolzen traf. Langsam hebelte er weiter, der Splitter wurde abgeschert, und der Bolzen verschob sich. Er zerrte die Axt wieder heraus und drückte die Speerspitze sechs Zoll unter die Eisenplatte der Klampe. Langsam hebelte er mit dem Pikenschaft. Jetzt waren beide Bolzen gelöst. Die ganze Klampe erhob sich einen Viertelzoll, wurde nur noch vom großen Gewicht der Kette gehalten. Tannhäuser hielt inne und ließ die Hellebarde eingeklemmt.
    »Pascale, ins Boot!«
    Als er Pascale über die Bordwand half, nahm er Carlas Gesicht wahr.
    Sie starrte zum Ufer. Sie war entsetzt.
    Tannhäuser folgte ihrem Blick.
    Eine Gestalt kam von Osten hinter den dort festgemachten Booten am Ufer entlang. Die Schritte des Mannes wirkten entschlossen. Er ging auf die Ufertreppe und auf Bernard Garnier zu.
    »Mattias«, sagte Carla. »Das ist Orlandu.«
    Orlandu trug einen Eimer in seiner unverletzten Hand.
    »Ja, das ist er.«
    Tannhäuser zog Pascale wieder herunter.
    »Mattias«, fragte Carla, »was macht er da?«
    Tannhäuser wusste genau, was Orlandu machte. Er hätte dasselbe auch tun können. Er hätte Orlandu auch damit weitermachen lassen können, aber die Angst und die Verwirrung in Carlas Stimme ersparten ihm diese Entscheidung. Sie schaute ihn an. Ihre Lippen zitterten.
    In all der Zeit, die er sie kannte, bei all dem Herzschmerz und den Schrecken hatte er niemals auch nur den Hauch einer Möglichkeit wahrgenommen, dass ihr Mut gebrochen werden könnte. Man hatte ihr den Mut nur einmal gebrochen, und das war lange vor der Zeit gewesen, als sie sich kennenlernten. Danach hatte sie ihn neu geschmiedet, aus Erzen, die selbst ihm unbekannt waren. Orlandu hatte ihren Mut gebrochen, obwohl ihm das damals nicht bewusst war, genauso wenig, wie er es heute wusste.
    »Mattias?«
    »Orlandu versucht, Zeit herauszuschinden, die wir nicht mehr brauchen.«
    Das war nur die halbe Wahrheit, aber Tannhäuser verriet ihr seine andere Vorahnung nicht.
    Er fügte hinzu: »Aber das kann er nicht wissen.«
    Carla nickte. Er langte nach unten, und sie ergriff seine Hand. Sie war kalt und nass, und ihre Berührung schnürte ihm den Hals zusammen. Er lächelte.
    »Du kümmerst dich um unsere Tochter, und ich kümmere mich um unseren Sohn.«
    Tannhäuser zeigte Pascale die Klampe und erklärte ihr, wie man die Hellebarde als Hebel benutzte.
    »Vier- oder fünfmal hebeln, immer nur ein bisschen, und dann ist der Weg frei für uns. Zeige Grymonde, wie man es macht. Wenn die Miliz über den Damm kommt, sag ihm, dass er die Sperre brechen soll, und dann steigst du ins Boot, und ihr fahrt durch. Ich lasse meine Frau und meine Familie in deinen Händen, mach also alles, wie ich es machen würde, mit ganz kaltem Verstand. Die Entscheidung,wann ihr durchfahrt, liegt bei dir, nicht bei Carla. Hast du das verstanden?«
    Pascale packte ihn beim Arm.
    »Nicht. Bleibe hier.«
    »Ich kann nicht alle Jungen untergehen lassen.« Er grinste. »Dann wäre ich der Einzige, der noch übrig ist.«
    Pascale ließ seinen Arm los. Sie

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