Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
ohrenbetäubende Brüllen eine Pistole.
    Flammen und Pulverdampf explodierten Altan Savas mitten ins Gesicht.
    Er wurde nach hinten geworfen. Der Pfeil verschwand hinter ihr. Ein gewaltiger Hüne raste an ihr vorüber und stürzte sich auf Altan, hieb immer und immer wieder mit dem Messer auf ihn ein, als müsse er ein Fabelwesen töten, das als unsterblich bekannt war. Aber Carla hatte an der Art seines Fallens gesehen, dass der Schuss Altan gleich getötet hatte. Das Klingeln in ihren Ohren ebbte ab. Der Mann mit den ungeheuren Schultern hackte nicht mehr auf Altan ein. Er stand auf und blickte auf sein Opfer.
    »Hölle und Teufel. Und doch hätte er mich beinahe getötet.«
    Es war die tiefste Stimme, die Carla je gehört hatte.
    Der Mann drehte sich nicht um.
    Sie bemerkte, dass sein Kopf und seine Schultern den Eindruck erweckten, dass man es mit einem Riesen zu tun hatte. Er war mehr als durchschnittlich groß, aber nicht so groß wie Mattias. Schultern und Kopf hätten die eines Mannes von der doppelten Größe sein können. Er schaute zur Vordertür hinaus, hatte ihr noch den Rücken zugewandt. Sie sah seinen ungeheuer großen Unterkiefer. Ein dicker goldener Ring glänzte in einem Ohr. Zwei Hunde schlitterten wie von Sinnen durch die Blutlachen und zwischen den Beinen des Riesen hindurch und schnappten nach einander.
    Der Mörder wedelte eine zweiläufige Radschlosspistole über dieStraße. Der Pulverdampf kräuselte sich noch aus der Mündung. Er brüllte in die Nacht hinaus.
    »Der Türke ist tot! Wir sind drin! Bringt die Karren.« Er schaute zu Altan hinunter und murmelte: »Wenn noch genügend Leute da sind, um sie zu ziehen.« Er brüllte wieder: »Ich will vor dem ersten Licht hier weg sein!«
    Er schob sich das blutige Messer hinten in den Gürtel und sah wieder zu Altan hinunter. Er steckte auch die Pistole fort, beugte sich herab und nahm Altan den Elfenbeinring vom Daumen. Er schaute ihn neugierig an, versuchte dann, ihn sich auf den Daumen zu schieben. Er passte nicht. Er schob ihn stattdessen über seinen kleinen Finger und schien sich über diese Beute zu freuen. Dann drehte er sich zu Carla um.
    Seine Züge waren nicht missgestaltet, und doch waren seine Nase, seine Lippen, die schweren Backenknochen und Brauen so riesig, dass die Wirkung grotesk war. Seine Augen waren dunkel und saßen tief. Das Seltsamste war, dass er wirkte wie ein riesengroßer Junge. Vielleicht lag es an dem Missverhältnis zwischen Kopf und Körper. Der Infant von Cockaigne.
    »Sechs meiner jungen Löwen hat Euer Türke umgebracht.«
    Carla erinnerte sich an ein Prinzip, das Mattias ihr eingeschärft hatte. Wer schwach erscheint, beschwört das Schicksal der Schwachen herauf, die von den Starken erbarmungslos zerquetscht werden. Sie verschloss all ihre Sinne vor dem Blut um sie, vor dem stinkenden Rauch, dem Chaos ringsum. Sie holte tief Luft.
    »Monsieur Grymonde, es tut mir leid, dass er euch nicht alle umgebracht hat.«
    Grymonde sperrte den Mund auf. Er stemmte die Fäuste in die Seiten. Er antwortete nicht.
    »Ich bin Carla, die Ihr die Dame aus dem Süden nennt.«
    Grymonde rang nach einer angemessenen Antwort, fand aber keine und schaute grimmig zu Altan.
    »Und wer war der Türke?«
    »Altan Savas, mein Beschützer und der Waffenbruder meines Gatten, in jedem Sinn ein herausragender Mann unter den Männern.«
    »Und wo ist dieser tapfere Gatte?«
    Ihre letzte Rettung war ihr Mut. Sie setzte alles darauf.
    »Fügt mir weiteres Leid zu, und Ihr werdet Grund haben, den Tag Eurer Geburt zu verfluchen.«
    Grymonde drehte den Daumenring am Finger.
    »Dieser Daumenring ist kein Schmuckstück«, erklärte Carla. »Er macht es möglich, die Bogensehne zu spannen, wenn auch nur wenige die Kraft haben, das zu tun.«
    Grymonde beugte sich hinunter und löste den Hornbogen aus Altans Griff. Er hob ihn stöhnend hoch. Aus der Art, wie er ihn handhabte, konnte Carla erkennen, dass der Mann kein Bogenschütze war. Und er war schlau genug, Carlas Herausforderung nicht anzunehmen. Stattdessen legte er sich den Bogen um die Schulter und grinste.
    »Die Dame aus dem Süden hat Courage.«
    Carlas Kind regte sich in ihr. Ihr Schoß verkrampfte sich.
    »Euren Arm, Monsieur, seid so gut.«
    Sie trat aus dem Schatten, und Grymonde nahm zum ersten Mal ihre Gestalt wahr.
    »Der Teufel soll doch meine Augen verdammen. Ihr seid hochschwanger.«
    Obwohl es nicht nötig war, packte Carla Grymondes Arm und lehnte sich darauf. Er strömte einen

Weitere Kostenlose Bücher