Die Blutnacht: Roman (German Edition)
viere und rammte sein Gesicht in den Kadaver des Hundes.
»Friss den Hund, Joco, ehe ihn die Maden kriegen. Iss. Beiß. Kau. Schluck.«
Joco wand sich. Grymonde stieß ihm den Hammer in den Rücken, nagelte ihn so am Boden fest, zwang ihn, den Mund zu öffnen und in die verbrannte Masse aus verkohltem Fleisch und verbranntem Fell zu beißen.
»Iss, sage ich!«
Joco nagte an einem verkohlten Bissen und schluckte.
Carla sah Estelle, das Rattenmädchen, das Grymonde beobachtete. Mit Ruß und Blut befleckt, wirkte das Mädchen wie eine Lumpenpuppe, die man aus den Ruinen einer geplünderten Stadt geborgen hatte. Sie war das einzige weibliche Wesen in dieser Bande, und Carla fragte sich, warum man sie wohl mitnahm. Vorhin war die Ehrfurcht des Mädchens vor Grymonde offensichtlich gewesen. Nun konnte Carla aus Estelles Augen ablesen, dass sie den Mann anbetete. Estelle wandte den Kopf und schaute Carla an. Unvermittelt veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen.
Sie flammten vor Hass.
Carla begriff, dass das Mädchen eifersüchtig war. Sie hielt sie für eine Rivalin um Grymondes Gunst.
Carla spürte, wie sich das Kind in ihr regte. Sie spürte seine Neugier, die Abenteuerlust, die sie ihm selbst mitgegeben hatte. Sie legte ihm die Hand auf den Rücken, um es zu beruhigen, es zum Einschlafen zu bringen, es wissen zu lassen, dass jetzt nicht die richtige Zeit für Neugier war, dass es auf andere, weniger gefährliche Abenteuer warten sollte. Eine Wehe zog ihren Leib zusammen. Der Krampf dauerte länger als alle anderen zuvor.
Sie stemmte die Hände auf die Knie, und obwohl sie die Augen schloss, hielt sie doch den Kopf aufrecht und unterdrückte einStöhnen. Sie wollte die wilde Bande nicht von Jocos Demütigung ablenken. Sie atmete konzentriert ein und aus. Die Wehe ließ nach, ebbte aber nicht völlig ab.
Carla begriff, dass es keine vollständige Entspannung mehr geben würde, bis das Kind geboren war. Wenn sie so lange am Leben blieb. Die Reise hatte begonnen, vielmehr die letzte Etappe der langen Reise, zu der sie und das Kind aufgebrochen waren. Der Reise, die mit dem Anfang einer anderen Reise enden würde.
Läuteten da wirklich Glocken? Oder träumte sie?
Sie schlug die Augen auf.
Joco war halb erstickt und völlig gebrochen. Grymonde ließ seinen Kopf los, stellte ihm aber einen Fuß in den Nacken und richtete sich auf. Carla wollte schreien: Mach ihn fertig. Bring ihn um. Beinahe als hätte er sie gehört, warf ihr Grymonde einen fragenden Blick zu. Er hatte Mordlust in den Augen, und sie überlegte, ob sie nicht doch laut gesprochen hatte. Er wandte sich ab.
Grymonde drohte seiner Lumpenbande mit dem Hammer. Die schien ihn noch mehr zu bewundern, seit er sich mit solcher Brutalität gegen einen von ihnen gewandt hatte.
»Wer einen Hund schlagen will, findet immer einen Knüppel.«
Er hob den Fuß, und Joco kroch kotzend auf allen vieren davon. Er rappelte sich mühsam auf die Beine und stolperte in die Gasse neben dem Haus, ohne sich umzuschauen.
»Sollen wir ihn zurückholen, Meister?«
»Nein. Er ist für mich gestorben.«
Grymonde deutete mit dem Hammer auf Estelle.
»La Rossa, du hast Gobbo und Joco in die Bande gebracht. Sie haben uns im Stich gelassen. Und du auch.« Er deutete auf die Toten. »Du hast uns die Tür nicht aufgemacht.«
Estelle starrte ihn ungläubig an. Sie schaute zu den wilden jungen Männern, fand aber keine Unterstützung, nur höhnisches Grinsen. Sie blickte zu Carla.
Carla verspürte trotz ihrer Feindseligkeit ein schreckliches Mitgefühl mit dem Mädchen; aber ihre Sinne waren von dem grausigen Drama ringsum und der gewaltigen Veränderung in ihrem Körper so überwältigt, dass sie kaum aufrecht sitzen konnte.
»Aber ich war doch tapfer.« Estelles Stimme schallte klarer alsdie Glocken. »Altan hätte mich beinahe umgebracht. Wenn ich dir nicht von dem Türken erzählt hätte, hätte er dich vielleicht auch umgebracht.«
Carla meinte, Mitleid in Grymondes Augen zu erspähen.
Estelle hob einen mageren Arm und zeigte auf Carla.
»Carla aus dem Süden kann dir sagen, dass ich tapfer war.«
»Es stimmt«, bestätigte Carla. »Estelle hätte nicht tapferer sein können.«
Sie erhaschte einen Blick auf Grymondes Gesicht und begriff, dass sie nur Estelles Verbannung besiegelt hatte. Nachdem er gezeigt hatte, dass er sich von der Bande nichts gefallen ließ, musste Grymonde nun beweisen, dass das auch für Carla galt.
»Manchmal reicht Tapferkeit nicht
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