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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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auch gewiss nicht auf Eure Gottestreue verlassen will. Ihr habt Euch als Schurke bewiesen. Und jetzt fordere ich Euch heraus, zu beweisen, dass Ihr ein Mensch seid.«
    Einen Augenblick lang war Grymonde still. Seine Augen blitzten unter den schweren Brauen hervor. Seine schwarzen Locken schimmerten. Er war ein Geschöpf der Stadt Paris, ihrer Logik, ihrer Grausamkeit, so wie eine Eule ein Geschöpf des Waldes ist. Er senkte den Kopf und schaute unter ihren Stuhl. Er streckte die Hand aus und zog sie zurück.
    »Eure Fruchtblase ist geplatzt.«
    Grymonde rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und musterte sie.
    »Das Fruchtwasser ist klar. Ein guter Anfang.«
    Dass ein Mann eine solche Beobachtung machte, verblüffte Carla.
    Die Geburtswehen hatten begonnen.
    »Würdet Ihr mich zum Tempel der Malteserritter bringen?«
    »Diese verdammten Mönche wissen nichts über Frauen. Die würde ich nicht einmal ein Kalb holen lassen.«
    »Dann lasst mich einfach selbst dahin finden. Um meines Kindes willen.«
    »Um Eures Kindes und um Euretwillen nehme ich Euch mit nach Cockaigne.«
    »Cockaigne? Wo ist denn dieses Land, wo Milch und Honig fließen?«
    »Ihr habt von den Höfen gehört?«
    Die Höfe, das waren die Behausungen der Pariser Verbrecher und Bettler, wegen ihrer Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit so verrufen, dass niemand außer den Bewohnern sich hineinwagte. Carla nickte.
    »Cockaigne ist einer der Höfe. Es ist meiner.«
    Carla spürte, wie das Kind sich in ihr regte, nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil sie beide eine ungeheure Wehe packte. Die Stärke der Wehe erstaunte Carla beinahe noch mehr als der Schmerz. Antoinette wich hinter den Stuhl zurück. Carla holte tief Luft und gab keinen Laut von sich.
    Grymonde nahm ihre Hand und drückte sie mit einer Sanftheit, die sie ihm nie zugetraut hätte. Sie drückte mit aller Kraft zurück. Mit der anderen Hand umfasste sie seine Knöchel. Die Wehe schien unendlich lang zu dauern. Sie ebbte ab, aber nicht vollkommen. Ihr Bauch war härter denn je.
    Sie entzog Grymonde ihre Hände, verwirrt über die ungewohnte Vertrautheit. Verwirrt, weil sie seine helfende Hand geschätzt hatte. Sie sah keine Leidenschaft in seinen Zügen, nur belustigte Sorge, als vertraute er ihr so sehr wie sich selbst. Instinktiv wusste sie, dass sie ihm trauen sollte – nicht weil sie keine andere Wahl hatte, sondern weil es eine gute Wahl war.
    »Mein Kind und ich vertrauen uns Euch und Eurem Schutz an.«
    Vom Hôtel d’Aubray ertönten erneut Schreckensschreie.
    »Hier, das wird Euch Kraft geben.«
    Grymonde bot ihr den Weinbecher an. Sie trank einen Schluck.
    »Ich weiß nicht, wie weit ich so gehen kann.«
    »Gehen?«
    Er lachte, und man konnte die großen Lücken zwischen seinen Zähnen sehen.
    »Für was für einen Mann haltet Ihr mich denn?«

KAPITEL 9

C LEMENTINE
    »Ich habe Cosseins gesagt, dass ich mich weigere, eure Verletzten zu behandeln«, sagte Ambroise Paré. »Und er weiß, dass ich nur vom König Befehle annehmen muss.«
    Tannhäuser und Stefano legten Orlandu auf das Bett. Der Teppich war blutdurchtränkt, aber die Laken waren sauber. Tannhäuser deutete auf eine der Lampen.
    »Juste, mehr Licht.«
    Juste hielt die Lampe über das Bett. Orlandu hatte den ganzen Weg unter dem Schutz des Opiums zurückgelegt. Seine Brust hob und senkte sich noch.
    »Er lebt, und er ist jung«, sagte Tannhäuser. »Da haben viele schon Schlimmeres überlebt.«
    »Habt Ihr mich nicht gehört, mein Herr?«
    Tannhäuser wandte sich Paré zu. Der große Mann stand im hinteren Teil des Raumes bei einer offenen Tür, die zur Treppe führte, als tröstete ihn die Vorstellung, er könnte noch fliehen. Er war ein bärtiger Mann von vornehmem Aussehen, Anfang sechzig. Seine Haltung strahlte Würde und Trotz aus, aber seine Augen waren krank vor Angst.
    »Verzeiht mein schlechtes Benehmen, Meister Paré, und erlaubt mir, diesen schrecklichen Ereignissen die Schuld dafür zu geben. Ich bin Mattias Tannhäuser und stehe mit höchstem Respekt vor Euch. Ihr seht, ich bin ein Ritter vom Hospitalorden von Malta und Jerusalem, und ich kann Euch bestätigen, dass unter all diesen tapferen und edlen Männern Euer Ruhm als Chirurg ohnegleichen ist. Während der Belagerung von Malta hat die Anwendung Eurer Methoden so manches Leben gerettet, und ich hörte Euren Namen oft. Habe ihn gar selbst meinem Freund Jurien de Lyon genannt.«
    »Ihr kanntet Jurien?«
    »Ich kannte ihn und sah ihn sterben. Er arbeitete

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