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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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aus.«
    Estelle streckte die Hand aus. »Ich will mein Messer wiederhaben.«
    »Schickt sie weg, Jungs, zurück zu ihren Ratten.«
    Drei Grobiane wollten sie packen. Estelle entwand sich ihren Händen und Tritten. Einer verfolgte sie und packte sie beim Kragen ihres dreckigen Kittels, der am Rücken riss, als sie sich befreite. Sie fuhr herum und griff ihm mit wildem Zischen in den Schritt. Er ließ los, um sich zu schützen. Estelle floh halbnackt die Straße hinunter und war fort. Carla meinte, sie schluchzen zu hören.
    »Jetzt hört zu«, sagte Grymonde. »Die Bürgermiliz ist aus ihrem Totenschlaf erwacht, und man kann nie wissen, was diese blöden Idioten tun werden. Gewiss sind sie keine Freunde von Bettlern wie uns, und sie lassen sich nicht bestechen wie die Polizei. Wir müssen also bis zum Morgengrauen hier fertig und wieder auf dem Heimweg sein. Ihr habt Eure Anweisungen. Die Hintertür ist noch versperrt, also geht hinein und schließt sie auf, wir haben auch hinterm Haus Karren. Vergesst den Keller nicht – der ist voll mit guter Beute – und bringt die Leiter mit. Und jagt die Hunde weg.«
    »Schaut, da oben ist noch eine Frau«, rief Bigot.
    Carla befahl sich, nicht hochzuschauen, hatte aber bereits den Kopf gehoben. Symonne sah aus dem zersplitterten Wohnzimmerfenster. Ihre Blicke trafen sich.
    »Können wir die schänden, ehe wir sie umbringen?«, fragte Papin.
    Carla schaute weg.
    »Sie ist reich, sie hat fette Titten und straffe Arschbacken«, brüllte Grymonde. »Ich denke mal, sie wird Tränenströme vergießen, um eure zarten jungen Herzen zu rühren, aber seid bloß nicht zart. Vergesst nicht, eure Mütter und Schwestern haben ihre Böden geschrubbt und ihren Pisspott ausgeleert. Zeigt ihr, wie ihre feinen Böden aussehen, wenn man auf den Knien liegt.«
    Carla hörte neben sich ein Schluchzen. Sie zog Antoinette näher zu sich.
    »Antoinette, knie neben mir hin und leg deinen Kopf in meinen Schoß. Spüre das Kind. Summe ihm ganz leise ein Schlaflied vor.«
    »Können wir all die anderen Hugenotten umbringen, Meister?«
    »Der König hat es selbst so angeordnet. Der im Louvre.«
    »Meister, sind die Hugenotten so schlimm wie die Philister?«
    »Schlimmer. Und von denen hat Samson nur tausend mit dem Kieferknochen eines Esels umgebracht. Und den halten wir für einen Helden. Also zückt eure Messer mit Freuden, für König Charles.«
    Die Lumpenbande jubelte und stürzte sich ins Hôtel d’Aubray.
    Carla schloss die Augen, hielt Antoinette die Ohren zu und wappnete sich für das, was sie nun hören würde. Grausige Schreie hallten aus den zerborstenen Fenstern. Sie hörte die Angst und den Schrecken von Martin. Von Charité. Lucien starb zuletzt. Ein seltsamer Geruch drang ihr in die Nase, und Carla schlug die Augen auf.
    Grymonde hockte vor ihr, sein Gesicht nur eine Handbreit von ihrem entfernt, seine steinernen Züge im Dunkel verloren.
    »Ist der Wein gut, Mylady?«
    »Ich habe ihn noch nicht gekostet.«
    Im Haus hörte eine Frau auf zu schreien. Die andere – Carla wusste, dass es Symonne war – kreischte weiter. Antoinette wusste das auch. Ihr Körper zuckte, während sie weiter dem Kind vorsummte.
    Grymonde legte eine Hand auf Antoinettes Kopf. Er strich ihr übers Haar. Carla konnte sich gerade noch beherrschen und schlug die Hand nicht fort. Aus dem kläglichen Summen des Mädchens wurde ein Wimmern.
    »Ihr wollt mir einreden, dass diese Hugenottin Eure Tochter ist.«
    »Nein. Ich wollte, dass Ihr es Euren Männern einredet.«
    »Ihr habt Joco gegen mich aufgehetzt.«
    »Er wollte mich umbringen. Und Ihr wart bereit dazu. Danke.«
    »Hätte ich ihn töten sollen?«
    »Ja.«
    Grymonde rieb sich mit dem Daumen über die Wange.
    Symonnes Schmerzensschreie verebbten zu atemlosem Stöhnen.
    Grymonde legte gedankenverloren den riesigen Kopf schief und richtete sich dann auf.
    »Ihr könnt Eure ›Tochter‹ behalten. Aber erzählt mir keine Lügen mehr.«
    »Ich habe Euch keine Lügen erzählt und werde das nicht tun.«
    »Dann zieht keine Strippen, denn ich bin keine Marionette. Bittet mich um nichts mehr.«
    »Ich glaube, Ihr wisst, dass ich Euch noch um mehr bitten muss. Und ich glaube, dass Ihr mir helfen werdet.«
    »Warum? Bin ich nicht Schurke genug gewesen?«
    Carla erinnerte sich an einen Spruch, den Mattias manchmal zitierte.
    »Die Juden sagen: Wo keine Menschen sind, da sei ein Mensch. «
    »Ihr zitiert mir die Juden?«
    »Samson war ein Jude, Christus auch, wenn ich mich

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