Die Blutnacht: Roman (German Edition)
noch am Operationstisch, als ihm die Türken die Hände abschlugen und ihn enthaupteten.«
Parés Gesichtsausdruck veränderte sich. Auf Stolz folgte Entsetzen.
Tannhäuser sagte: »Es ist nicht leicht, in so blutigen Zeiten weiterzumachen. Aber wir müssen es tun.«
Paré schritt zum Bett und zog eine Brille aus dem Ärmel.
»Ich habe mein Leben in blutigen Zeiten verbracht. Das Gemetzel ist mein Beruf. Auch Verrat als Mittel der Politik ist mir nicht neu. Aber ein Verrat von solchem Ausmaß? Guise ist zu weit gegangen. Der König wird seinen Kopf verlangen. Noch vor wenigen Stunden saß Seine Majestät an diesem Bett und beweinte die Wunden des Admirals. Weinte vor Mitleid und Wut und schwor, es müsse Gerechtigkeit walten. Nun sagen sie, all dies sei auf Befehl des Königs geschehen?«
»Ich bin in die Pläne des Königs nicht eingeweiht«, antwortete Tannhäuser. »Aber gewiss seid Ihr nur auf Befehl des Königs noch am Leben.«
Während Paré überdachte, was das bedeutete, setzte er seine Brille auf, und seine Hände untersuchten Orlandu, als hätten sie einen eigenen Willen. Sie prüften den Puls, die Fingerspitzen, die Lymphknoten am Hals, die Beschaffenheit der Haut. Er beugte sich vor, um den Atem Orlandus zu riechen.
»Bring die Lampe näher«, wies er Juste an.
Er zog Orlandus Augenlider in die Höhe.
Tannhäuser hieb Juste auf den Rücken. »Dank meiner Bemühungen ist dieser junge Löwe noch am Leben. Ihr und er sind vielleicht die einzigen lebenden Hugenotten im ganzen Quartier . Stimmt das nicht, Juste?«
»Ja, Sire. Ich wäre im Palast mit allen anderen ermordet worden.«
Paré schaute auf. »Sie töten unsere Glaubensbrüder auch im Louvre?«
»Sire, ich glaube, das ist schon geschehen.«
»Sie wurden im Hof zusammengetrieben, zum Vergnügen der Bogenschützen«, fügte Tannhäuser hinzu. »Die königliche Familie hat von der Terrasse der Königin aus zugeschaut, als sei es ein Maskenspiel.«
Paré schloss die Augen. Kurz fürchtete Tannhäuser, der Arzt könnte ohnmächtig werden.
»Sie haben sich in die Gesellschaft von Schlangen begeben«, meinte Tannhäuser. »Und sie wurden gebissen.«
Paré schaute ihn an. Vielleicht hatte der Arzt in seinem Gesicht die brutale und wissende Rücksichtslosigkeit gesehen, die diese Welt von den Überlebenden forderte. Wenn das so war, dann hatte Paré darin längst Meisterschaft erlangt, gegen seine innerste Überzeugung. Er nickte.
»Ihr habt recht. Wir müssen weitermachen. Wann wurde diesem Mann zuletzt Opium verabreicht?«
»Vor über zehn Stunden.«
»Und er ist noch so benommen?« Er öffnete einen Schrank mit Instrumenten. »Er muss ein starker Bursche sein, dass er eine solche Dosis überlebt hat.«
»Orlandu hat einen ungewöhnlichen Stammbaum, waghalsig auf der einen, fanatisch auf der anderen Seite, und starrköpfig auf beiden. Er ist mein Sohn, wenn auch nicht mein leiblicher.«
»Chevalier, Ihr könntet mir von der anderen Seite des Bettes besser assistieren. Juste, bleib, wo du bist. Die Lampe wird heiß, benutze dieses Handtuch.«
Mit Pinzette und Schere begann Paré, den übelriechenden und inzwischen verdrehten und zusammengeschobenen Verband aufzuschneiden und von der Wunde an Orlandus Oberarm abzuziehen. Tannhäuser ging um das Bett herum.
»Diese Bandage hat die Wunde gekocht wie einen Pudding im Wasserbad«, sagte Paré. »Die Natur allein hätte ihm wesentlich bessere Dienste geleistet. Zusätzlich zu Unmengen von Eiter steckt noch eine Kugel in seinem Arm.«
»Ich wollte die Wunde schon selbst eröffnen, hatte aber kein Verbandmaterial. Die Hospitaler benutzen nach Euren Anweisungen Eigelb, venezianisches Terpentin und Rosenöl.«
»Für frische Wunden schon. Wenn wie hier bereits Fäulnis vorliegt, ist Aegyptiaksalbe, verdünnt mit Wein und Eau-de-vie , wesentlich wirksamer.«
»Natürlich, natürlich.« Tannhäuser versuchte sich zu erinnern. »Grünspan und Honig?«
»Es gibt in Paris Chirurgen, die weniger über ihr Handwerk wissen, als Ihr wisst oder zu wissen scheint, und doch hätte ich Euch auf den ersten Blick nicht für einen Wundarzt gehalten.«
»Ich bin Soldat und töte Menschen, vorzugsweise mit Klingen. Zu diesem Zweck habe ich mich mit den Grundzügen der Anatomie befasst. Es hilft auch, wenn man etwas darüber weiß, wie man Wunden behandelt, nicht nur, wie man sie anderen zufügt. Daher habe ich mich auch ein wenig mit der Magia naturalis und der Alchemie beschäftigt.«
Fäulnisgestank stieg
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