Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Ihr Euch jetzt besser?«
»Ein wenig.«
»Hervorragend. Jetzt müssen wir weiter. Wir haben noch zu tun, Ihr mehr als alle anderen.«
Er deutete auf den wartenden Plünderzug, stellte sich zwischen die Deichseln von Carlas Karren und nahm eine in jede Hand. DerKarren rollte um einiges schneller als bisher. Carla spürte erneut Schmerz in sich aufsteigen und stemmte sich gegen die Planken.
Sie hielten auf der Rue Saint-Denis noch einmal an, und Grymonde verhandelte mit zwei Sergents à verge . Einer von ihnen musterte Carla, ihr Haar und ihr feines Kleid. Sollte sie die beiden um Hilfe bitten? Die Polizisten waren offensichtlich bestechlich. Welche Hilfe konnten sie ihr bestenfalls anbieten? Begleitung zum Louvre? Oder in eine Kirche? Ihre einzigen Mittelsmänner bei Hof waren Christian Picart und Dominic Le Tellier. Sie hatte sich für beide nicht recht erwärmen können, konnte sich jedoch keinen Grund denken, warum sie ihr die Hilfe verweigern sollten. Falls sie sie finden konnte. Sicherlich gab es bei Hof einen Herrn, auf dessen Gnade sie sich verlassen konnte. Aber der Louvre war der Schauplatz eines Blutbads gewesen, und sie würde jeden Augenblick niederkommen. Sie wusste nicht, wo sie Orlandu finden sollte. Aber auch der kannte sich nicht mit Geburten aus und wusste bestimmt keinen Experten zu finden. Würde Grymonde sie gehen lassen, wie er es angedeutet hatte, da sie doch eine Augenzeugin seiner Verbrechen war? Die Panik, die sie am meisten fürchtete, flackerte in ihr auf.
Grymonde kam von den Sergents wieder zur Karawane und gab Anweisungen. Papin und Bigot kehrten zurück. Bigot trug ein Bündel Kleider, das er auf einen der Wagen warf. Zwei Karren fuhren los. Einer der Sergents begleitete sie. Carla wusste, dass im letzten Wagen verborgen die Leichen der Räuber lagen, die Altan Savas getötet hatte. Grymonde kam zu ihr.
»Carla, Eure Gedanken sind leicht zu lesen. Schwört bei Eurem Kind, dass Ihr meinen Namen und auch das hier …«, er deutete mit der Hand auf sein Gesicht, »nicht verratet. Dann sage ich zu Sergent Rody, dass er Euch hinbringen soll, wohin Ihr wollt. Und auch Euer Gepäck.«
So vor die Wahl gestellt, verspürte sie noch mehr Panik. Sie wollte, er hätte sie ihr nicht angeboten.
»Warum?«
»Warum?« Grymonde spitzte die Lippen. »Ein König darf Launen haben.« Er zögerte. »Und vielleicht, weil Euch von Anfang an das hier …«, wieder die Geste zum Gesicht, »nicht entsetzt hat.«
»Welche Wahl würdet Ihr treffen?«
»Ich würde mich zugunsten des Kindes entscheiden. Und das bedeutet für meine Mutter.«
Carla rang mit sich. Zuflucht in einer Räuberhöhle zu nehmen, in die sich, nach allem, was man hörte, nicht einmal die Wachen des Königs wagten, schien Wahnsinn zu sein. Und doch war unter all der Panik das Vertrauen, das sie bereits zu diesem Mann, dem grotesken Riesenkind, gefasst hatte.
»Ich kann nicht sagen, welche anderen Verbündeten Ihr zu Hilfe rufen könnt«, fügte Grymonde hinzu, »oder wie nah sie Euch stehen. Doch wer sie auch sind, besonders wenn sie aus dem Palast sind, denkt zweimal darüber nach.«
»Was meint Ihr damit?«
»Jemand hat mich angeheuert, Euch zu töten. Und er wusste, wo Ihr zu finden wart.«
Außer Hauptmann Le Tellier und Petit Christian musste es ein gutes Dutzend Leute im Louvre geben, denen bekannt war, wo sie sich aufhielt; auch andere hätten das herausfinden können.
Sie sagte: »Der Louvre.«
»Heute Morgen haben sie dort zweihundert Menschen niedergemetzelt, die zuvor in Seidenlaken geschlafen und mit der Königin zu Abend gegessen hatten. Meine Warnung ist angebracht.«
»Ich bezweifle das nicht. Ich war zu zerstreut, um richtig darüber nachzudenken.«
Sie spürte, dass eine weitere Wehe sich anbahnte, und versuchte, sie durch bloße Willenskraft zu unterdrücken.
»Wer hat Euch angeheuert?«
Sie presste beide Hände auf ihren Bauch.
»Schurken von hohem Stand handeln nur über Zwischenträger, oft über mehrere, damit man sie nicht zur Verantwortung ziehen kann. Ich kenne nur den Mann, der mich angeheuert hat – und ich würde beschwören, dass er nichts gegen Euch hat –, aber nicht den, in dessen Dienst er steht.«
Sie wollte mehr erfahren, konnte aber den Schmerz nicht mehr aufhalten.
Sie ergab sich der Wehe.
»Nehmt mich mit.«Ihr Weg führte durch ein Labyrinth von Gassen, die kaum breit genug für die Karren waren. Selbst wenn sie es versucht hätte, hätte Carla niemals wieder
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