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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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verspürt. Sie war auch Männern begegnet, die nur Männer liebten. Aber Grymonde war wie eine Rose ohne Duft. Er verwirrte sie. Er erschreckte sie. Und doch spürte sie in sich das Vertrauen, um das er sie bat. Sie fragte sich, ob ihr Kind mehr wusste als sie.
    Sie legte die Linke auf ihren Bauch, um ihr Kind mit ihrem Herzen zu verbinden, und streckte Grymonde ihre Rechte hin. Er nahm sie in beide Hände. Es waren starke, aber weiche, fleischige Hände. Sie dachte an Mattias’ Hände, die stark, aber schwielig waren.
    »Ich bin ein König von Vergewaltigern und Mördern und Lügnern und Dieben, ja. Von Schurken, aber nicht den schlimmsten unter ihnen. So ist unsere Welt, und wir wissen es beide.«
    »Wie oben, so unten.«
    »Wie oben, so unten. Aber es gibt einen Unterschied. Hier unten sagt man Euch, wenn der Wind richtig steht, die Wahrheit. Hier istalso die Wahrheit: Wenn Euer Kind nicht wäre, dann würden jetzt die Fliegen über Eure toten Augen krabbeln, wie bei den anderen, denn man hat mir dafür einen sehr guten Preis gezahlt. Aber ich bringe Euch zu einer Frau, die mehr gesunde Kinder auf die Welt geholt hat als alle Ärzte in Paris zusammen.«
    »Darf ich ihren Namen erfahren?«
    »Sie heißt Alice. Sie ist meine Mutter.«
    Der Karren bog nun in eine viel breitere Querstraße ein, die Carla als Rue Saint-Martin zu erkennen glaubte. Sie verlief nach Süden auf eine Brücke zu, und Carla war überrascht, auch hier keine Menschenseele zu sehen. Grymonde hielt eine Hand hoch, um die Karren anzuhalten, und schritt dann an Carla vorüber. Sie hörte, wie er Bigot und Papin leise Anweisungen gab. Die beiden senkten die Karrendeichseln und folgten ihm. Carla wandte sich auf der Matratze um. Während sie Grymondes Schaukelgang sah, die schwingenden Arme an den breiten Schultern, den riesigen Kopf, da begriff sie, warum Estelle ihn als »Infant« bezeichnet hatte. Von hinten sah er wie ein riesiges Kind aus, das gerade eben laufen gelernt hatte.
    Zwanzig Schritte weiter war die Rue Saint-Martin auf Taillenhöhe mit einer Kette abgesperrt, die zu beiden Seiten an Eisenhaken hing, die man in die Häuserwände gebohrt hatte. In der Mitte stand ein Wachsoldat auf seinen Speer gestützt. Er trug eine weiße Armbinde und hatte sich ein weißes Kreuz an die Kappe geheftet. Sein Mund stand offen, als Grymonde auf ihn zuging. Er hob den Speer quer vor die Brust wie jemand, der keine Ahnung hatte, was er mit dieser Waffe anfangen sollte. Er versuchte erfolglos, seine Angst zu verbergen. Grymonde hob die Rechte und sagte ein paar Worte der Begrüßung, die sie nicht hören konnte, aber der Mann wirkte nicht beruhigt.
    Bigot und Papin gingen jeder auf eine Seite der Kette zu. Der Wachsoldat schaute sie an und erriet, was sie vorhatten, starrte aber immer noch auf die gewaltige Gestalt, die auf ihn zugewankt kam. Er wagte es nicht, den Speer auf ihn anzulegen, und zum Weglaufen war es nun zu spät. Grymonde sprang vor, hieb dem Wachsoldaten die Faust in den Bauch, pflückte ihm den Speer aus der Hand undwarf ihn zur Seite. Dann drückte er den atemlosen Mann auf die Knie und packte die Kette, während Bigot und Papin sie aushakten.
    Antoinette hob den Kopf über den Karrenrand. Carla legte den Arm um sie und zog ihren Kopf wieder in ihren Schoß. Aber Carla schaute nicht weg. Sie wollte alles aufnehmen, was sie über Grymonde erfahren konnte.
    Grymonde wickelte dem Wachsoldaten die Kette wie eine Schlinge um den Hals, trat einen Schritt zurück und winkte mit der Hand. Bigot und Papin zogen mit aller Macht an den Enden der Kette, als müssten sie ihre Kräfte messen. Die Kette straffte sich, und der Wachsoldat wurde hochgerissen, während sein Hals zerquetscht wurde. Und doch bewegte er kaum die Arme. Dann hing er da schlaff wie nasse Wäsche. Die jungen Männer schienen zu denken, er hätte sich nur deswegen nicht gewehrt, weil sie irgendetwas falsch gemacht hatten, verdoppelten also unter Flüchen und Grunzen ihre Anstrengungen. Der Kopf des Wachsoldaten fiel auf eine Schulter, seine Kappe rutschte herunter, sein Gesicht wurde noch eine Schattierung blauer, aber er war noch so tot wie zuvor.
    Carla verspürte keine Gefühle für ihn. Sie hatte keine übrig.
    Grymonde packte die Kette und winkte den jungen Männern. Die lockerten ihren Griff, und die Kette fiel zu Boden. Grymonde wickelte dem Toten die eiserne Schlinge vom Hals und ließ ihn fallen. Er hob die Kappe und den Speer auf und kehrte zum Karren zurück. Bigot und

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