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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Scham, manche mit bitterer Reue. Euren Segen würde ich hinnehmen, aber die Absolution nicht, denn die meisten Sünden bereue ich nicht im Geringsten.«
    »Glaubt Ihr, dass alle von der Kirche vergebenen Sünden ernsthaft bereut wurden?«
    »Die lasten aber nicht auf meinem Gewissen.«
    »Diese seltenen Skrupel ehren Euch.«
    »Carla liebte ihren Glauben. Sie respektierte seine Sakramente. In ihrem Gedenken werde auch ich das tun. Ich werde sie nicht verspotten, um eines Trostes willen, den ich nicht verdiene und nicht finde und nicht brauche.«
    »Dann gebe ich Euch meinen Segen. Aber bleibt noch. Setzt Euch, trinkt ein wenig Wein.«
    »Ich möchte lieber Informationen. Das Haus d’Aubray wurde von Schurken geplündert, die sogar Mehl gestohlen haben, als wäre es kostbar wie Safran. Ich vermute, sie sind nach Westen gezogen. Ich bin fremd hier. Aus welchem Bezirk der Stadt könnten solche Gauner kommen?«
    »Bruder Mattias, ich flehe Euch an, spart Euch jeden Gedanken,jede Vorstellung, Vergeltung für dieses schreckliche Verbrechen zu üben, denn das wird Euch niemals gelingen. Überlasst es Gott, sie zu strafen, denn das wird Er tun, und Seine Rache wird fürchterlich sein. Betrauert Eure Frau. Sucht Trost in den Werken des Herrn.«
    »Ihr müsst aber doch eine Vorstellung haben.«
    »Es gibt Dutzende berüchtigter Enklaven völliger Gesetzlosigkeit überall in dieser Stadt, jede ein verworrenes Labyrinth von Gassen und geheimen Hinterhöfen, die nur den Einwohnern vertraut sind und von ihnen eifersüchtig bewacht werden. Diese armseligen Geschöpfe leben wie – nun, nicht wie die Tiere, denn welches Ungeziefer würde die Unschuld eines Jungen für ein Fässchen Pastinakenwein verhökern? – und in unaussprechlicher Niedrigkeit, Gottlosigkeit und Gewalt.«
    Tannhäuser ging zum Tisch, schenkte sich aus einem Krug Wein ein und trank.
    »Und die Schuldigen, die Ihr sucht?«, fuhr La Fosse fort. »Niemand würde sie Euch verraten.«
    »Welche von diesen Räuberhöhlen liegt am günstigsten für den Handel mit dem Hof ?«
    »Ihr könnt damit doch nicht den Louvre meinen?«
    »Wir wissen, wer für den Pastinakenwein zahlt.«
    »Was ich weiß, ist nur unzuverlässiger Klatsch.«
    »Klatsch reicht mir.«
    La Fosse rang mit sich.
    »Nördlich von Les Halles – dem Marktviertel – gibt es die schlimmsten dieser Räuberhöhlen, man nennt sie die Höfe. Sie liegen auf einem Hügel südwestlich der Porte Saint-Denis, mehr oder weniger unmittelbar westlich vom Hôtel d’Aubray.«
    »Die Höfe.«
    Wenn er schon dem Teufel die Hand schütteln wollte, konnte er genauso gut dort anfangen.
    »Kein Außenstehender setzt je einen Fuß in die Höfe, am allerwenigsten die Polizei. Sogar die Kinder sind gefährlich wie tollwütige Hunde. Und die Frauen sind noch schlimmer. Es sind einmal zwei sanftmütige Franziskaner mit nichts als Liebe im Herzen dorthin gegangen. Sie wurden nie wieder gesehen. Innerhalb eines Tages verhökerte man ihre Kutten und Rosenkränze an der Place deGrève. Man munkelte sogar, ihr Fleisch sei in Les Halles als Schweinefleisch verkauft worden.«
    La Fosse küsste das Kruzifix, das ihm um den Hals hing.
    »All diese Namen bedeuten mir nichts.« Tannhäuser deutete auf die Schreibwerkzeuge auf dem Tisch. »Zeichnet mir eine Karte.«
    La Fosse setzte die Brille auf und wählte eine Feder aus einem Glas. Er tauchte sie in die Tinte und zeichnete quer über ein Blatt Papier zwei parallele Linien.
    »Dies soll die Seine darstellen. Und hier im Fluss die Cité.« Er zeichnete eine Insel und markierte sie an beiden Enden mit einem Kreuz. »Notre-Dame. Sainte-Chapelle.« Er tauchte die Feder erneut ein und fügte noch Brücken hinzu, die die Cité mit dem rechten Ufer verbanden. »Von La Cité nach La Ville haben wir den Pont Notre-Dame, den Pont au Change und den Pont aux Meuniers mit den Wassermühlen.« Im Süden zeichnete er zwei weitere Brücken. »Und von La Cité ins Quartier Latin haben wir den Petit Pont und den Pont Saint-Michel.«
    »Ja, ja, wunderbar. Weiter.«
    »Nördlich des Flusses hat die Stadtmauer von Charles V. eine Form, die wir mit der Schale eines Enteneis vergleichen könnten.« La Fosse zeichnete die ovale Linie ein, die das gesamte Nordufer der Seine umspannte. Er tauchte die Feder wieder ein. »Doch die ältere Mauer im Süden umfasst einen Bereich, der eher einem Wachtelei entspricht. Oder vielleicht einem Hühnerei.«
    Nun, da die große Stadt vor seinem geistigen Auge Gestalt annahm,

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