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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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fühlte sich Tannhäuser ihr nicht mehr so ausgeliefert.
    »Gut.« Er erinnerte sich, dass jeder Künstler sich nach überschwänglichem Lob sehnt, und fügte hinzu: »Großartig.«
    La Fosse kam erst recht in Schwung. Er wählte eine dünnere Feder.
    »Hier sind die sechs Tore im Norden, die ich mit Buchstaben markieren will. Porte Sainte-Honoré. Montmartre. Saint-Denis. Saint-Martin. Der Tempel. Saint-Antoine, das ich mit B für die Bastille bezeichne, die dieses Tor bewacht. Und hier findet Ihr Les Halles, westlich vom hohen Turm von Saint-Jacques, dessen Bau die Fleischer bezahlt haben. Und da sagen die Leute, die Kirche wäre reich! Hier ist das meistgefürchtete Gebäude Frankreichs, die Festung des Châtelet, wo die Polizei stationiert ist. Wenn Ihr Gerechtigkeitsucht, mein Bruder, sucht anderswo. Und hier ist der Friedhof der Unschuldigen.« Als verlangte es ihn nach Lob, sagte er: »Ich hoffe, diese grobe Skizze ist hilfreich für Euch.«
    »Sie ist ein Meisterwerk der Kartographie.«
    »Und die anderen Kirchen in der Ville, wo anfangen?«
    Tannhäuser deutete mit dem Zeigefinger auf die westliche Kante der Karte. »Der Louvre?« Dann östlich vom Pont Notre-Dame. »Die Place de Grève, das Hôtel de Ville?«
    »Korrekt. Sehr gut. Wir sind ungefähr hier.« Er machte ein Zeichen auf die Karte.
    »Und das linke Ufer?«
    »Ich persönlich meide es. Es sind überall Collèges. Die Studenten sind zum Verzweifeln. Hier ist die Tour de Nesle. Hier sind die sechs Tore.« Er zeichnete weiter. »Die Galgen auf der Place Maubert. Ah, und die Klöster. Außerhalb der Mauer haben wir Saint-Germain-des-Prés, innerhalb, meine Güte, Cluny, Sainte-Geneviève, die Augustiner, die Bernhardiner …«
    »Entschuldigt mich, Pater.« Tannhäuser zog ihm die Karte weg, ehe sie zu vollgeschrieben wurde. »Ich stehe in Eurer Schuld.« Er blies auf die Tinte. »Erzählt mir mehr über Symonne d’Aubray.«
    La Fosse unterdrückte sein Unbehagen so schnell und geschickt, dass Tannhäuser sich nicht sicher war, es gesehen zu haben. Der Geistliche deutete auf die Papiere auf seinem Tisch.
    »Die d’Aubrays sind Protestanten. Ihr verstorbener Gatte war ein Radikaler, aber Symonne widmete sich ihrer Familie und ihrem Geschäft.« Er zuckte die Achseln. »Sie steht auf der Liste.«
    »Eine Liste von Protestanten?«
    »Ein Bote vom Bureau de Ville hat mich aus dem Bett gezerrt, um sicher zu sein, dass sie komplett ist. Sie wurde nach Steuerlisten zusammengestellt und ist daher sehr unvollständig. Ich kenne jeden Haushalt in der Gemeinde, auch die der Nichtkatholiken. Das Bureau ist in heller Panik. Stimmt es, dass eine Hugenottenarmee vor den Toren der Stadt steht?«
    »Nein. Coligny und all seine Offiziere sind tot.«
    »Gott sei gepriesen.«
    »Warum braucht das Bureau eine solche Liste?«, fragte Tannhäuser.
    »Die Stadt wird von den großen Herren des Rechtswesens und der Finanzen regiert, die man Les Messieurs nennt. Und in deren Ränge haben sich immer mehr Protestanten eingeschlichen – durch Heirat, Verwandtschaft, Übertritte. Ketzerei ist nicht einmal mehr ein Verbrechen. Geld ist wichtiger als Gottesliebe …«
    »Warum braucht das Bureau die Liste?«
    »Man sagt, es sei zu ihrem eigenen Schutz.«
    »Zum Schutz der Hugenotten?«
    »Die Pariser sind leidgeplagt. Hungersnot, hohe Preise, Pest. Steuern für verlorene Kriege. Steuern, um die von den Hugenotten angeheuerten Söldner zum Gehen zu bewegen. Steuern für unsere eigenen ausländischen Söldner. Steuern für die großartigen Gebäude, deren Fertigstellung wir uns nicht leisten können. Steuern für diese vermaledeite Hochzeit. Wer glaubt denn an diese Ehe? Weder Braut noch Bräutigam. Und jetzt sollen wir gegen die Spanier kämpfen? Die Pariser wollen diese Probleme los sein, das bedeutet, dass sie die Hugenotten los sein wollen, mehr nicht.«
    »Wer wird diesen Schutz übernehmen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte La Fosse.
    »Wer ist in Paris für Recht und Ordnung zuständig?«
    »Ein Dutzend Ratsherren würden Euch ein Dutzend verschiedene Antworten geben, und keiner würde sie beschwören.«
    »Das braucht Ihr auch nicht. Erklärt es mir.«
    »Der König und das Bureau haben gemeinsam die Macht, die Stadt zu regieren, und wetteifern darum. Aber ich versichere Euch, dass sie keine Verantwortung für die Verhinderung von Verbrechen auf den Straßen übernehmen. Das ist die Aufgabe des Lieutenant Criminel de Robe Courte, der bei Tag mit zwanzig Bogenschützen durch

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