Die Blutnacht: Roman (German Edition)
die Stadt patrouilliert.«
»Ein wahres Paradies für Schurken.«
»Gut gesprochen, Chevalier. Paris hat auch einen Militärgouverneur, dem man die Verteidigung der Stadtmauern anvertraut hat. Und dann ist da noch die Königliche Wache, eine Truppe von dreißig Männern, die bei Nacht auf Patrouille gehen, wenn man sie aus den Gasthäusern herausgezerrt bekommt. All diese Einrichtungen überschneiden einander ständig, wenn es um Autorität, Verantwortung und Jurisdiktion geht.«
»Man kann also immer anderen die Schuld geben.«
La Fosse runzelte die Stirn, als wäre ihm dieser Gedanke noch nie gekommen. »Natürlich.«
»Und wer sind die Hanswurste, die mit Fahnen und Trommeln durch die Stadt wandern?«
»Die Bürgermiliz oder Bourgeois guet . Jede Kompanie von hundert Mann wird aus einem der sechzehn Quartiers der Stadt rekrutiert. Während des letzten Bürgerkrieges erklärten sich ihre Offiziere zu Soldaten Christi, und sie waren während des Aufstands der Gastines, sagen wir mal, sehr aktiv. Nur der König kann sie einberufen. Abgesehen davon ist niemand sicher, wer sie befehligt oder wer die Grenzen ihrer Aufgaben festsetzt oder welche Aufgaben das überhaupt sind. In der Praxis stehen sie unter dem Einfluss der Bruderschaften, Gruppen überaus frommer und, sagen wir mal, militanter Katholiken.«
Tannhäuser erinnerte sich an die Bruderschaften auf Sizilien. Fußtruppen der Inquisition.
»Die Bürgermiliz wird also von Fanatikern geführt.«
La Fosse zögerte, er war sich nicht sicher, zu welchem Lager Tannhäuser wohl tendierte.
Tannhäuser sagte: »Erst gestern hat man mich auch Fanatiker genannt.«
»Lasst es mich so sagen: Im Allgemeinen hegen die Menschen keine große Zuneigung zu den Stadtvätern, aber wenn die Bürgermiliz eine Parade abhält, erscheinen sie in hellen Scharen und jubeln.«
Tannhäuser nahm die Brille vom Tisch: zwei konvexe Linsen in silbernen Rahmen, durch eine c-förmige Brücke verbunden. Seine Augen waren auch nicht mehr so gut wie früher.
»Darf ich?«
Er setzte sie auf. Sie saß zu straff. Er bemerkte, wie der Priester zusammenzuckte, als er die Brücke etwas weiter bog. Bisher hatte die Eitelkeit ihn daran gehindert, eine solche Brille auszuprobieren. Ihre Wirkung verblüffte ihn. Verschiedene Einzelheiten auf der Karte, die zuvor verschwommen waren, waren nun plötzlich scharf zu sehen. Die Tinte war trocken. Er faltete die Karte zusammen, wickelte sie um die Brille und steckte beides in die Tasche. Er fragte sich, ob er Juste und Grégoire zu ihrer Sicherheit hierlassen sollte. Sein Instinktrebellierte dagegen, wenn er sich das Bild des lüsternen Kardinals ansah. Dann raffte er die mit Namen bedeckten Papiere vom Tisch zusammen, rollte sie ein und steckte sie oben in seinen Stiefel.
Er ging zur Tür.
»Ich komme wieder, um weitere Anordnungen zu geben und den Sarg anzusehen.«
»Bruder Mattias, Ihr habt meinen Segen noch nicht erhalten.«
»Sorgt nur dafür, dass mir der Sarg gefällt.«
»Und meine Brille?«
Die beiden Jungen hatten inzwischen für den halbkahlen Köter aus Goldlitze ein Halsband geflochten und waren sehr stolz darauf. Der Hund trottete wie ein kleiner Dämon zwischen Clementines Vorderläufen, und beide Tiere schienen es zufrieden zu sein. Als der Wachsoldat herbeieilte, um die Kette herunterzulassen, staunte er den Hund an, als wäre dessen seltsame Erscheinung in Tannhäusers Gefolge nur ein weiterer Beweis für dessen schwachen Verstand. Auf dem Platz mit den Galgen jenseits der Kette war die Zahl der Bewaffneten angewachsen. Mehr Fahnen wurden in der feuchten Morgenluft geschwenkt. Ein Dudelsackspieler gab eine fröhliche Weise zum Besten.
»Seid gegrüßt, guter Herr! Wisst Ihr, dass sich ein Köter unter Eurem Pferd versteckt?«
Tannhäuser warf dem Wachsoldaten einen Sou zu. Der schnappte nach der Münze, verfehlte sie und schlug sie auf die Straße. Nun suchte er tief heruntergebeugt den Boden ab, während er verstohlene Blicke auf den Hund warf.
»Der Köter hat was Teuflisches, Sire. Der hat den bösen Blick.«
Grégoire fand die Münze, hob sie auf und reichte sie dem Wachsoldaten Hervé, der erst lächelte, dann aber das Gesicht verzog, als er die Hasenscharte des Jungen sah. Er nahm die Münze, ohne zu danken, und wich zurück. Grégoire war ungerührt.
»Wie hieß dieser Tölpel?«, fragte Tannhäuser Juste.
»Hervé, der Gipser«, flüsterte Juste.
»Hervé«, sagte Tannhäuser, »Pater La Fosse berichtete mir, dass
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