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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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zusammen. »Das ist wirklich unnötig, Sire. Ich habe Einfluss. Ich habe auch meinen Wert. Ich bin Spitzel. Nun, der Spitzel eines Spitzels …«
    Tannhäuser erhöhte den Schmerz. Tybaut stöhnte.
    »Es gibt alle möglichen Spione«, sagte Grégoire.
    »Da hat Euer Idiot recht, Sire. Polizeispitzel, Spione für den Hof. In Bordellen, in Kneipen und auf den Straßen. In Schlafzimmern und Küchen. Für Ehemänner und für Ehefrauen. Ganz zu schweigen von Spitzeln für die Collèges und die Kirche. Jeder zweite Bedienstete in dieser Stadt ist einer. Einige der höchsten Herren im Land sind welche, von denen müsstet sogar Ihr gehört haben. Wir bespitzeln einander alle, Sire, nicht wahr? Spitzeln ist Leben.«
    »Und für welchen wichtigen Spion spitzelst du?«
    »Ich habe seine Bedeutung vielleicht ein wenig übertrieben, Sire. Er ist einer der Diakone hier. Aber ich glaube, er wird rasch Karriere machen und ich hoffentlich mit ihm.«
    »Und du glaubst, du könntest mir von Nutzen sein?«
    »Ich garantiere es, Sire. Bei allem Respekt, jeder kann davon profitieren, mehr Wissen zu erlangen.«
    »Die Welt allgemein würde davon profitieren, wenn ich dir das Genick bräche.«
    »Verzeiht, Sire, aber Ihr kommt mir nicht vor wie ein Mann, dem der Nutzen der Welt im Allgemeinen am Herzen liegt.«
    »Wer ist Euer aufsteigender Diakon?«
    »Habt Erbarmen, Sir.« Er stöhnte vor Schmerzen. »Pater Pierre.«
    »Hat er gesagt, du sollst die weiße Armbinde tragen?«
    »Das musste er nicht. Ich sehe, was ich sehe, genau wie Ihr.«
    Tannhäuser ließ den Arm los. »Sag mir noch was Wissenswertes.«
    Tybaut wandte sich um und deutete auf Juste. »Nun, der da ist wie ein rotes Tuch für einen Stier, wenn Ihr einen trefft, und das werdet Ihr. Ich meine, die meisten Leute sind dumm, das wisst ihr, und die Polizei ist noch dümmer. Und die Bürgermiliz?« Er klopfte sich seitlich mit den Knöcheln an den Kopf. »Aber das sind nur die meisten, nicht alle. Er ist offensichtlich Ausländer, und Ihr auch, Sire, obwohl das noch kein Verbrechen ist. Aber das kleine weiße Kreuz an seiner Brust macht ihn lange nicht zum Katholiken.«
    »Gib ihm dein Hemd. Das Wams auch!«
    Tybaut lachte. Tannhäuser ohrfeigte ihn. Der Kuppler schlug erneut gegen die Wand und sackte auf dem Boden zusammen. Die Ohrfeige hallte in der Kathedrale wider. Köpfe drehten sich, wandten sich wieder ab. Tannhäuser schaute auf die Zwillinge. Sie hielten einander umklammert und starrten auf Tybaut. Sie hatten Angst.
    Angst vor Tannhäuser.
    Tybaut riss sich zusammen, den Kopf gesenkt, überlegte, immer noch auf Knien.
    »Wenn du das Messer da ziehst, steche ich dir die Augen aus und hacke dir die Daumen ab«, sagte Tannhäuser. »Dann kannst du die anderen Krüppel vor dem Hôtel-Dieu bespitzeln.«
    Tybaut stand auf. Sein Lächeln überdeckte kaum die tiefe Demütigung und Wut.
    »Ich bin etwas mehr Respekt gewöhnt, Sire.«
    Tannhäuser ohrfeigte ihn mit der anderen Hand. Tybaut war viel zu langsam. Er ging wieder in die Knie, schnappte auf allen vieren nach Luft.
    »Steh auf, du Kuppler. Gib ihm die Kleider.«
    Tybaut rappelte sich auf, Tränen in den Augen.
    »Du bist ein Bursche mit Begabungen. Du verschwendest sie.«
    »Ja, Sire«, erwiderte Tybaut. »Schön jemanden kennenzulernen, der seine Begabungen voll ausschöpft.«
    Er machte einen Schritt zurück, um dem Hieb auszuweichen, der nicht kam. Er zog das Wams aus.
    »Was hast du heute sonst noch gehört?«, fragte Tannhäuser. »Was erwartest du?«
    Tybaut warf Juste das Wams hin. »Ich habe gehört, dass wir eine Menge Ketzer ausrauben und umbringen werden. Und das wird wohl geschehen.«
    »Du bist kein Mörder.«
    »Ich meinte, wir Pariser. Heute ist der heißeste Tag des Sommers, der Bienenkorb ist einmal zu oft getreten worden. Jetzt sind die Bienen wütend. Wärt Ihr nicht so verdammt hochmütig, könntet Ihr sie schwärmen hören. Und würdet in die Hosen scheißen.«
    »Du meinst die Bürgermiliz?«
    »Seht Ihr? Ihr habt keine Ahnung.« Er zog das Hemd aus. »Wer ist die Bürgermiliz? Ein Haufen Schuster. Aber es gibt eine Miliz innerhalb der Miliz. Die Vereine, die Bruderschaften. Manche Priester haben ihre eigene Miliz. Manche Hauptmänner. Manche adeligen Herren. Und dann sind da noch die Bettler, Diebe, Schmuggler und Banditen. Die Kuppler. Königreiche innerhalb der Königreiche. Könige und Hauptmänner, Männer der Tat, wenn auch ohne Titel. Dann ist da noch die Polizei, die in alle möglichen

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