Die böse Brut
Dort brannte keine Innenbeleuchtung.
Das Auto blieb in seinem Innern finster wie eine Höhle.
Es ist das Ende!, dachte Damiano. Wenn ich dort hineingehe, dann ist es vorbei. Dann schaffe ich den Absprung nie mehr. Dann wird man mich in diesen höllischen Zauber hineinziehen.
Er ging langsamer.
Seine Bewacher reagierten sofort und hielten ihn an den Armen fest. Ihre Hände waren wie die Klauen von Robotern.
»Wir haben schon zu viel Zeit verschwendet«, flüsterte ihm der rechte der beiden zu. »Wir wollen nicht noch länger warten.«
Ich will nicht!
Es war ein Schrei, der in Damiano’s Innern aufgellte und nicht nach draußen drang. Deshalb blieb er auch ungehört. Sein Widerstand, vorübergehend aufgegeben, kehrte zurück. Es lag nicht nur an seinen beiden Bewachern, sondern auch an dem vor der Treppe wartenden Caddy. Der Junge wusste genau, dass er, wenn er in ihn hineinstieg, endgültig verloren war und keine Chance mehr hatte, ihnen zu entwischen. Den gleichen Fehler würden sie nicht noch einmal begehen.
Sie schoben ihn mit sanfter Gewalt weiter. Er ging und stolperte leicht die Stufen hinab. Durch den inneren Widerstand konnte er seine Bewegungen nicht mehr genau kontrollieren. Obwohl er sich im Freien aufhielt, kam es ihm vor, als hätte man ihm einen Sack über den Kopf gestülpt. In ihm war es eiskalt geworden. Im Gegensatz dazu fühlte sich die Haut in seinem Gesicht heiß an.
Sie drückten ihn vor. Er senkte den Kopf. Unbewusst zählte er die Stufen, und dann sah er die letzten drei vor sich. Es schockte ihn. Er schloss die Augen und ging den Rest der Strecke wie blind weiter.
Dann hatte er die Treppe hinter sich.
Die beiden Bewacher ließen ihn los, weil er ohne Hilfe in die Limousine einsteigen sollte. Er musste sich in den Fond setzen und ging deshalb einen Schritt nach links.
Damiano öffnete die Augen. Er schaute sich noch einmal um, und er sah dabei auch in die Nähe.
Es war wirklich mehr ein zufälliger Blick, aber was er da entdeckte, erwischte ihn wie ein Schock.
Ein Märchen öffnete sich ihm. Da war jemand, den es eigentlich nicht geben konnte, und seine Augen weiteten sich vor Freude und Entsetzen...
***
Fliegen!
Dieses wunderbare Gefühl, diese herrliche Eigenschaft, das war für das Vogelmädchen Carlotta immer etwas Besonderes. Sie hätte es gern jeden Tag getan, aber sie wusste auch, dass dies unmöglich war. Maxine hatte schon Recht, wenn sie warnte, denn wurde sie gesehen, würde man eine wahnsinnige Jagd auf sie eröffnen, weil sie schon etwas Einmaliges in dieser Welt war.
Sie segelte durch die Luft, ohne sich viel zu bewegen. Es gab hier immer Winde in und über Dundee. Genau diese Tatsache nutzte Carlotta aus. Sie ließ sich oft treiben und schonte sich daher. Sie bewegte ihre Flügel nur dann, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und sie genoss das Gefühl, wieder in der Luft zu sein. Der Wind streichelte ihr Gesicht. Er brachte Klarheit in ihre Gedanken hinein. Er machte sie so frisch, er gab ihr Auftrieb, und wenn sie durch die Luft segelte, fühlte sie sich als Königin. Da herrschte sie. Da konnte ihr niemand etwas antun. Auch andere Vögel nicht, die sie gar nicht sah. Sie alle hatten sich zum Schlafen gelegt, und sie schraubte sich langsam immer höher in den Sommerhimmel hinein, der nicht völlig klar war, aber nur sehr schwache Wolkenschichten besaß.
Es war einfach wunderbar, diesen Ausblick zu genießen. Sie drehte den Kopf und schaute in Richtung Osten zur offenen See hin. Dort sah sie das gewaltige Wasser. Die Wogen hoben und senkten sich. Sie entdeckte durch ihre scharfen Augen auch die hellen Kämme auf den Wellen und ebenfalls die fast gelblich schimmernden Zungen der langen Sandstrände.
Sie dachte daran, dass sie an diesen Stellen ein schreckliches Abenteuer erlebt hatte, bei dem sie fast ihr Leben verloren hätte. Aus einer anderen Zeit und aus einem anderen Kontinent war ein Riesenvogel erschienen und hätte Max und sie fast getötet.
Dort hatte sie auch den Eisernen Engel erlebt, ebenfalls ein Phänomen, ähnlich wie sie.
Carlotta war hoch geflogen. Unter ihr lag jetzt die Stadt, und sie schaute auf die zahlreichen Dächer der Häuser. Alles erschien ihr zum Greifen nahe und war doch so weit entfernt. Nicht von der Distanz her, sondern vom Denken. Sie selbst fühlte sich den normalen Menschen entrückt, ohne sich dabei arrogant vorzukommen, denn Carlotta war jemand, der die Menschen liebte.
Aber jetzt gab es nur sie selbst und ihren Flug
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