Die böse Brut
fror man nach der Wärme des Tages, und da machte auch die Tierärztin Maxine Wells keine Ausnahme. Deshalb hatte sie ihren Platz verlassen und war ins Haus gegangen, um sich eine Strickjacke zu holen, die sie von der Lehne eines Sessels nahm, wo sie die Jacke bereits bereitgelegt hatte.
Auf jeden Fall wollte sie nicht ins Bett gehen und so lange draußen im Garten warten, bis Carlotta zurückgekehrt war. Das tat sie immer.
Carlotta würde dann glücklich sein und ihr natürlich voller Begeisterung von ihrem Ausflug erzählen.
Für ein paar Tage und Nächte war sie dann meistens zufrieden, bis es sie wieder zum nächsten Flug drängte.
Maxine Wells überlegte, ob sie noch eine Flasche Wasser mit nach draußen nehmen sollte, denn zumeist hatte Carlotta nach ihrer Rückkehr Durst. Deshalb ging sie in die Küche und holte die Flasche Mineralwasser und ein Glas. Beides nahm sie mit nach draußen. Die helle Strickjacke hatte sie locker über ihre Schultern gelegt und nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz, den sie durch Kippen in eine Liege verwandeln konnte, aber darauf verzichtete sie.
Ihr Glas war leer. In der Flasche befand sich noch genügend Rotwein, und so gönnte sie sich einen nächsten Schluck. Eine ganze Flasche trank sie nie leer, aber eine halbe schaffte sie schon. Auch nicht jeden Tag, sondern nur in Sommernächten wie diesen, die leider viel zu selten in dieser Gegend waren.
Es gab keinen Zweifel, sie liebte diese Nächte, aber Maxine wäre noch zufriedener gewesen, hätte sie einen Partner gehabt, mit dem sie ihr Glück hätte teilen können.
Sie war nie eine Nonne gewesen. Sie hatte einige Beziehungen erlebt, aber es waren nie die Glücksmomente gewesen, die sie sich vorstellte, denn wenn sie sich einmal band, dann sollte es auch für ein ganzes Leben sein, und das war in einer Zeit wie dieser gar nicht so einfach, weil der Egoismus der Menschen immer stärker wurde.
Hinzu kam ihr Job.
Sie war nicht nur eine gute Tierärztin, sie nahm auch kranke Tiere zur Hege und Pflege bei sich auf. Deshalb war sie an ihr Haus und an die Praxis gebunden, so dass lange Urlaube für sie nicht infrage kamen. Wer seinen Job so liebte und so gründlich machte, der musste einen Partner finden, der dafür Verständnis aufbrachte, und das war wirklich nicht einfach.
Das größte Hindernis für einen Mann wäre allerdings ihr Pflegekind Carlotta gewesen. Das Vogelmädchen war einfach ein Phänomen. Es anzuerkennen und zu akzeptieren, dazu war nicht jeder bereit. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass es überhaupt einen Mann gab, der das tun würde, und so würde sie wohl allein bleiben, so sehr das auch gegen ihre Natur ging. Aber sie konnte diese Zwänge nicht einfach aufbrechen.
Da erging es ihr wie ihrem mittlerweile zum Freund gewordenen Bekannten John Sinclair. Auch er befand sich in einer ähnlichen Situation. Er war mehr mit seinem sehr verantwortungsvollen Job verheiratet. Für eine vernünftige Ehe hätte er kaum die nötige Zeit aufbringen können, um sich um den Partner zu kümmern.
So verglich sie ihr Schicksal immer mit dem des Geisterjägers. Wie auch jetzt, als sie einen Schluck Rotwein trank und ein etwas sentimentales Lächeln ihre Lippen umspielte, als sie das Glas wieder absetzte.
Sie schaute in den Himmel.
Von Carlotta war noch nichts zu sehen. Das war klar, es lag auf der Hand, aber sie machte sich einfach immer Gedanken, wenn sie das Mädchen nicht um sich hatte. Das würde auch nie aufhören, obwohl Carlotta immer wieder gesund, munter und glücklich von ihren nächtlichen Ausflügen zurückgekehrt war. Sie wusste nur, dass diese Ausflüge in den Sommernächten zunehmen würden, und es würde bestimmt die Nacht kommen, in der auch sie mitflog.
Es war einfach etwas Wunderbares und kaum zu beschreiben, mit Carlotta über den Dächern durch die Luft zu gleiten und einfach frei zu sein. Ohne Angst haben zu müssen vor irgendwelchen Verfolgern, die ausgeschwärmt waren, um Carlotta wieder zurück in das Genlabor zu holen, aus dem das Vogelmädchen damals geflohen war.
Das alles war Vergangenheit, und es würde sich hoffentlich nicht wiederholen.
Wieder trank sie einen Schluck Wein. Sie ließ den edlen Rebensaft über die Zunge gleiten und genoss den leichten Geschmack nach Beeren. Wieder lächelte sie vor sich hin, diesmal allerdings wirkte das Lächeln nicht so verloren oder sentimental.
Dann hörte sie etwas!
Maxine Wells kannte das Geräusch. Es war so etwas wie eine Ankündigung des
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