Die böse Brut
durch die Nacht. Sie war allein am Himmel. Es gab keine Störungen, und sie konnte sich so verhalten wie es ihr in den Sinn kam.
Sie flog in die Höhe. Sie drehte ihre Kreise. Sie überschlug sich, führte verrückte Salti vor, und beinahe jede ihrer Bewegungen wurde von einem Freuden- oder Jubelschrei begleitet.
Es war so herrlich, sich austoben zu können. Für sie kam es einem Wunder gleich, und sie war so dankbar, dass ihr die Flügel gewachsen waren. Dafür nahm sie alle Nachteile in Kauf.
Bei ihren intensiven Ausflügen vergaß sie des Öfteren die Zeit. Deshalb machte sich Maxine auch immer große Sorgen, aber Carlotta hatte es bisher immer geschafft, gesund zurück nach Hause zu kommen, und das sollte auch in dieser Nacht so sein.
Sie entschloss sich, nicht in Richtung Meer zu fliegen, sondern über der Stadt zu bleiben. Es machte ihr besonderen Spaß, aus einer gewissen Höhe in die Straßen hineinzuschauen und manchmal auch in die Häuser, wenn die Fenster erleuchtet waren.
Carlotta hatte dann stets das Gefühl, ein Beschützer zu sein, der bei den Menschen für einen ruhigen Schlaf sorgte. Ein Sandmännchen der besonderen Art und Weise, und sie hatte sich auch nie den Menschen gezeigt, sondern war im Verborgenen geblieben.
Allerdings reizte es sie manchmal, es anders zu tun, besonders dann, wenn sie Kinder sah. Für sie war sie dann ein Engel, der seinen Platz im Himmel verlassen hatte, um nach den Kindern zu schauen und ihnen den Segen zu geben.
Carlotta verlor wieder an Höhe. Sie bewegte ihre Flügel nur langsam. Hin und wieder nahm sie den frischen Geruch der Federn wahr, den sie so liebte.
Allmählich rückten die Dächer der zahlreichen Häuser näher. Auch die Lichter erschienen deutlicher. Es gab an den meisten Stellen in der Innenstadt Beleuchtung, damit sich die Menschen zurechtfanden. Laternen spendeten Helligkeit, gelbweiße Scheinwerferlichter bewegten sich wie Geister voran, Ampeln wechselten ihre Farbe. In den Schaufenstern der City-Geschäfte wurde die Ware auch in der Nacht noch beleuchtet, und auch in vielen Wohnhäusern brannte in den Zimmern noch Licht.
Sie flog weiter und ließ sich dabei treiben. Sie wollte einfach nur den Flug über die Stadt genießen, dann umkehren und wieder glücklich im Garten landen, wo Maxine sicherlich schon gespannt und auch besorgt auf sie wartete.
Besonders deutlich zeigten sich die Türme der Kirchen. Sie stemmten sich wie lange Arme in die Höhe, die zusätzlich noch ihre Hände ausgestreckt hielten.
Sie entdeckte sehr schnell auch die Kirche mit den beiden Türmen. Ein wunderbares Bauwerk, eine Kathedrale, die schönste in der Stadt. Für Carlotta war die Kirche so etwas wie ein Wendepunkt, denn wenn sie ihre Nähe erreicht hatte, wollte sie umkehren.
Sie glitt noch tiefer. In der Umgebung der Kirche war nichts zu sehen. Die Dunkelheit wurde durch kaum eine Lichtquelle unterbrochen. Das Bauwerk wirkte auf sie wie ein Bollwerk, das sich trotzig allen Stürmen der Zeit entgegenstemmte.
Die Türme rückten näher. Wenn sie nach unten schaute, sah sie hinter der Kirche eine dunkle Fläche. Inzwischen kannte sie sich in der Stadt etwas aus. Daher wusste sie auch, dass diese dunkle Fläche ein Friedhof war.
Über ihn flog sie hinweg und verlor dabei immer mehr an Höhe. So hatte sie den Eindruck, als hätten sich ihr die Bäume entgegengedrückt, um nach ihr zu fassen. Sie huschte darüber hinweg und musste wieder an Höhe gewinnen, um nicht gegen die Mauer der Kirche zu prallen.
Es war alles wunderbar gelaufen. Auch jetzt dachte sie an keine Veränderung. Sie würde an der Seite der Kirche entlang fliegen, um den vorderen Bereich zu erreichen. Dort würde sie dann drehen und sich wieder auf den Rückweg begeben.
Nach einem schwungvollen Schlag der Flügel gewann sie wieder an Höhe. Sie sah jetzt den freien Platz vor der Kirche unter sich und wusste auch, dass eine breite Treppe von der ruhigen Straße her zu ihr hoch führte.
Und dort sah sie die drei Männer!
Carlotta erschrak. Sie hatte nicht damit gerechnet, hier Menschen zu sehen, und ihre Reaktion glich einer Flucht, als sie nach einem schnellen Flügelschlag an Höhe gewann.
Sekunden später korrigierte sie sich, denn es waren keine drei Männer, die die Treppe hinabgingen, sondern nur zwei. Die dritte Person war noch ein Kind, ein Junge, der dunkle Kleidung trug.
Er ging zwischen den beiden ebenfalls dunkel gekleideten Männern her, doch für sie war das kein normales Gehen. Ihr
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