Die böse Brut
öffnete sie und trank zwei große Schlucke. Der Durst war gelöscht, das trockene Gefühl im Hals war ebenfalls verschwunden, und sie ging zu einem der Fenster, um nach draußen zu schauen. Sie verbreiterte eine Lamelle, damit sie eine bessere Sicht bekam, und ließ ihren Blick über einen dunklen Rasen streifen, bis hin zum Anbau, in dem sie die kranken Tiere unterbrachte, die bis zur Genesung bei ihr blieben. Im Moment beherbergte sie keinen vierbeinigen Gast, aber das konnte sich schnell ändern.
Sie zog sich nach knapp einer Minute wieder zurück, denn entdeckt hatte sie nichts. Es gab keine Fremden im Garten. Niemand schlich über den Rasen. Ihre Furcht war unbegründet gewesen, aber sicher fühlte sie sich trotzdem nicht.
Maxine durchwanderte ihr Schlafzimmer, schaute dabei auf ihre Füße und war in Gedanken versunken. Zwei Stunden des neuen Tages waren bereits vorbei, und sie wünschte sich, dass es schon hell war und John Sinclair an ihrer Seite stand.
Dann öffnete sie die Tür.
Der Gang war leer, und er war ruhig. Auf einer Konsole stand eine kleine Lampe. Sie gab ein schwaches Licht ab, das nicht mehr als eine Notbeleuchtung war.
Schatten und Helligkeit trafen sich. Sie schufen innerhalb des Flurs eine diffuse Welt, die der Tierärztin vorkam, als wäre sie von Geistern erfüllt.
Es tat sich nichts. Die Stille blieb. Auch aus den anderen Zimmern war nichts zu hören. Sie konnte zufrieden sein, und doch war sie es nicht. Maxine überlegte, ob sie bei ihrer Ziehtochter nachschauen sollte, ließ es dann jedoch bleiben. Sie wollte Carlotta nicht grundlos wecken.
Maxine zog sich wieder in ihr Zimmer zurück. Sie blieb auf dem Bett sitzen. Das Umherlaufen hatte sie abgelenkt, aber nicht müder gemacht. Noch immer spürte sie Nervosität und das Kribbeln in ihren Gliedern. Auf ihrer Stirn lag ein dünner Schweißfilm. Es gab kaum Kühle im Raum, so dass ihr die Luft stickig vorkam.
Keine Geräusche, weder im Haus noch außerhalb. Daran richtete sich Maxine auf. Sie schalt sich selbst eine Närrin, dass sie sich so viele Gedanken machte. Es war wirklich besser, wenn sie dachte und handelte wie eine Erwachsene und nicht wie eine Person, die vor Angst nicht mehr weiterwusste. Da war nichts, und da gab es auch nichts. Basta!
Nachdem sich die Tierärztin mit diesem Gedanken angefreundet hatte, legte sie sich wieder zurück ins Bett. Sie blieb auf dem Rücken liegen und schaute dabei gegen die Decke.
Es gab Leute, die Schafe zählten, wenn sie nicht einschlafen konnten. Darauf wollte sich Maxine nicht verlassen. Sie versuchte nur, die fremden Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, doch sie kam gegen das Erlebte einfach nicht an. Es blieb permanent bestehen, und darüber ärgerte sie sich. Trotzdem war sie nicht hellwach. Das Klopfen nahm sie erst bewusst wahr, als es zum zweiten Mal erfolgte. Da sie so schnell nicht antworten konnte, sah sie, wie die Tür geöffnet wurde und sich eine schmale Gestalt in das Zimmer hineinschob.
Es war das Vogelmädchen, das ihr einen Besuch abstatten wollte. Erleichtert richtete sich Maxine auf und deutete auf ihre Bettkante, wo Carlotta Platz nehmen sollte.
Sie schwebte in das Zimmer hinein wie ein Engel. Dabei ging sie auf leisen Sohlen, und sie hatte ihr helles Nachthemd übergestreift, das fast rückenfrei war.
»Setz dich doch...«
»Ja, danke...«
Carlotta nahm Platz. Sie hätte nach rechts schauen müssen, um Maxine anzusehen. Das tat sie nicht. Sie hielt den Kopf gesenkt und blickte auf den Fußboden.
»Kannst du auch nicht schlafen?«
Carlotta hob die Schultern. Ihre Hände lagen dabei im Schoß zusammengefaltet.
»Was ist mit dir?«, fragte Maxine.?
»Ich bin so aufgeregt.«
»Das kann ich gut nachvollziehen.«
»Es ist alles sehr seltsam, ich weiß nicht, was ich von Damiano halten soll.«
»Er wird sich uns noch öffnen, keine Sorge.«
Carlotta schüttelte den Kopf. »Daran kann ich nicht so recht glauben, Max!« Sie dachte über ihre nächsten Worte nach. »Der... der... ist so seltsam.«
»Kannst du das genauer erklären?«
»Nein, nicht wirklich. Aber ich habe das Gefühl, als wäre er kein richtiger Mensch.«
»Ach – meinst du?«
Carlotta nickte.
»Und wie kommst du darauf?«
»Weil... weil... er sich einfach nicht so benimmt wie ein Mensch. Er spricht nicht. Er schaut mich auch kaum an, wenn ich ihn etwas Frage. Er ist einfach anders.«
»Ja, das stimmt.«
»Das macht mir Angst.«
Maxine streichelte Carlotta’s Arm. »Bitte, mach dir
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