Die böse Brut
hörte ich ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter. Ich meldete mich selbst nicht und legte auf.
Am liebsten hätte ich mit den Fäusten gegen die Wand getrommelt, so wütend war ich. Das würde ein Wochenende werden, das über der Aufschrift Frust stand.
Hier im Büro konnte ich auch nichts erreichen. Ich wollte verschwinden, nach Hause gehen oder in den Pub und mir einen kräftigen Schluck gönnen. Mit anderen Leuten reden, mit denen ich beruflich nichts am Hut hatte. Fußball, World Cup und...
Es klopfte an die Tür.
»Ja, bitte.«
Harold Quinn, ein Kollege vom Erkennungsdienst, betrat mein Büro. »Störe ich?«
»Nein.«
Er strich sein rotblondes Haar zurück und setzte sich auf die Schreibtischkante.
»Gibt es für mich einen Grund zur Freude?«
»Das kann ich nicht sagen. Wir haben nur einen winzigen Schritt nach vorn gemacht.« Mit dem Daumen und dem Zeigefinger deutete er an, wie winzig dieser Schritt war.
»Trotzdem bin ich gespannt.«
»Wir haben die Kleidung des Toten untersucht. Es war kein ausländischer Stoff, also kein Franzose oder Italiener, sondern einer, der hier auf der Insel hergestellt wird.«
»Gut. Und wo?«
»In Schottland.«
»Ach.«
»Ja, wir haben noch recherchiert und sind zu dem Schluss gelangt, dass der Anzug in einer Weberei hergestellt wurde, die in der Nähe von Dundee liegt.«
»Na super«, sagte ich.
»Allerdings ist das auch schon alles, Mr. Sinclair.«
»Kennen Sie die Weberei mit Namen?«
»Nein, das ist uns noch nicht gelungen. Aber wir arbeiten daran. Kann ja sein, dass es Ihnen weiterhilft.«
»Danke sehr.«
Der Kollege zog sich wieder zurück, und ich blieb noch etwas länger sitzen.
Schottland also, Dundee. Da kannte ich zwei Menschen, die dort lebten. Die Tierärztin Maxine Wells und das Vogelmädchen Carlotta. Nun ja, es gab auch noch andere Bewohner in dieser Stadt. Das musste nichts zu sagen haben.
Ich machte jedenfalls für heute Schluss. Ob die letzte Information zu einer gewissen Hoffnung berechtigte, musste sich noch herausstellen...
***
Ich war dann auch in einen Pub gegangen, hatte zwei große Bier getrunken und war dann wieder verschwunden. Die Stimmen waren mir auf die Nerven gegangen. Ich hatte mich nicht ablenken und auch nicht konzentrieren können. Es gibt eben diese Tage, an denen man sich in seiner eigenen Haut fast wie ein Fremder fühlt.
Es war wirklich warm geworden, und London erlebte eine dieser ersten schönen Sommernächte, was viele Menschen auf die Straße trieb, in die Biergärten der Lokale, in die Bars, Pubs und Bistros.
Ich marschierte nach Hause und traf dort ein, als sich die Dämmerung ausbreitete. Bock darauf, ins Bett zu gehen hatte ich nicht. So wollte ich mich vor die Glotze hocken und noch etwas Fußball schauen, denn momentan lief die Weltmeisterschaft, und irgendein Sender würde bestimmt Ausschnitte von den Spielen bringen.
Als ich das Haus betrat, gähnte ich und hörte das Lachen in meiner Nähe. Der Hausmeister, der zugleich Aufpasser war, hatte mich gesehen. »Müde, Mr. Sinclair?«
»Kann man wohl sagen.«
»War ja kein gutes Spiel gegen die Schweden.«
»Unentschieden.«
»Mal sehen, wie es weitergeht.«
»Ich drücke uns die Daumen.«
Der Lift brachte mich hoch in die zehnte Etage.
In der Wohnung machte ich es mir bequem und öffnete auch ein Fenster, um frische Luft in das Zimmer zu lassen.
Komischerweise musste ich immer wieder an Dundee denken. War das wirklich die Spur, nach der wir gesucht hatten? Oder hakte ich mich gedanklich nur deshalb daran fest, weil es nichts anderes gab?
Ich wusste es nicht, es war mir auch egal, denn ich spürte die Müdigkeit, die mich überschwemmte. Der Fernseher lief, mir fielen die Augen zu, und ich sackte weg.
Bis zu dem Augenblick, als mich das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf riss. Im ersten Moment war ich durcheinander, schaute mich unsicher um und registrierte erst beim dritten Klingeln, dass ich mich in der eigenen Wohnung befand.
Wenig später hob ich ab.
»Ja bitte.«
»Maxine Wells.«
Ich glaubte es nicht. Ich stand da, als hätte man mich angenagelt. Sofort kehrte wieder alles zurück. Der Kollege, der von Dundee gesprochen hatte, der schreckliche Mord und jetzt der Anruf meiner Freundin Maxine Wells.
»Habe ich dich aus dem Schlaf gerissen, John?«
»Ja.«
»Tut mir Leid, aber...«
»Nicht schlimm, Max. Du rufst ja nicht an, um mir eine gute Nacht zu wünschen.«
»Das würde ich zwar auch tun, aber in diesem Fall geht es um etwas
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