Die böse Brut
keine Sorgen, Kind. Wir bringen das in Ordnung. In einigen Stunden wird John Sinclair bei uns sein. Dann sieht die Sache schon ganz anders aus.«
»Es ist aber eine lange Zeit.«
»Das stimmt auch.«
»Und deshalb fürchte ich mich.«
Carlotta musste lachen. »Du hast Angst, meine Liebe? Soll ich das wirklich glauben?«
»Das musst du sogar glauben. Ich habe wirklich Angst vor ihm, weil er mir so fremd ist. Und dass ich ihn nicht als einen richtigen Menschen ansehe, hat schon seinen Grund. Da höre ich einfach auf mein Gefühl, verstehst du?« Carlotta schwieg in den nächsten Sekunden. Sie hockte auf der Bettkante und schaute die Wand an, obwohl es da wirklich nichts gab, das sich anzuschauen gelohnt hätte.
Die Tierärztin kannte ihre Ziehtochter. Sie wusste deshalb genau, dass Carlotta noch etwas auf dem Herzen hatte, sich aber nicht traute, es auszusprechen.
Sie sprach das Vogelmädchen direkt an. »Was hast du denn noch für Probleme?«
»Ich war unterwegs.«
Maxine erschrak und wollte es genau wissen. »Du bist... geflogen?«
»Ja, das bin ich.«
»Und wohin?«
»Einfach über die Stadt hinweg. Es ließ mir keine Ruhe. Ich musste es tun.«
»Gut. Und weiter?«
»Ich habe sie nicht gesehen, Max. Nicht den Wagen und auch nicht die vier Männer.«
Die Tierärztin atmete auf. »Na, das ist doch schon mal ein Erfolg, meine ich.«
Carlotta drehte den Kopf, um Maxine ins Gesicht zu schauen. »Meinst du das wirklich so?«
»Ja. Man muss auch mit den kleinen Dingen zufrieden sein. Auch ich hatte Angst davor, dass wir einen Besuch bekommen würden, den wir nicht wollen, aber das hat sich zum Glück nicht bestätigt. Und in ein paar Stunden haben wir einen Helfer an unserer Seite.«
»Das ist auch gut.«
»Und deshalb solltest du zufrieden sein.«
Carlotta schüttelte den Kopf. Diese Reaktion nährte bei Maxine den Verdacht, dass sie doch etwas auf dem Herzen hatte.
»Was hast du noch für Probleme?«
»Es geht um Damiano. Ich habe dir nicht alles gesagt.«
»Dann raus mit der Sprache.«
Carlotta zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob du mich auslachst, aber ich habe etwas gehört, das mir Sorgen macht. Damiano kann auch nicht schlafen.«
»Aha, das weißt du genau?«
»Ja.«
»Woher?«
»Ich hörte ihn stöhnen, Max. Richtig stöhnen.« In ihre Augen trat ein ängstlicher Ausdruck.
»Das war furchtbar.«
Maxine vergaß ihre eigenen Sorgen. »Bist du sicher, dass du ihn gehört hast?«
»Ja, das bin ich.«
»Und weiter?«.
»Ich wollte nachschauen«, flüsterte das Vogelmädchen, »aber ich habe mich nicht getraut. Leider nicht. Ich... ich... hatte einfach zu viel Angst davor.«
Maxine lächelte. »Und deshalb bist du jetzt zu mir gekommen, um mir das zu sagen.«
»Ja, das denke ich. Oder... ich meine, wenn wir beide hingehen und gemeinsam nachschauen. Das Stöhnen muss einen Grund gehabt haben, meine ich zumindest.«
»Davon kannst du ausgehen, meine Liebe.«
»Sollen wir dann hingehen?«
Die Tierärztin richtete sich ruckartig auf. »Genau das werden wir tun. Ich kann sowieso nicht schlafen. Mal sehen, vielleicht können wir dem Jungen etwas entlocken, jetzt, wo er sich an seine neue Umgebung gewöhnt hat.«
»Das meine ich auch.«
»Dann komm mit...«
***
Das Vogelmädchen stand so unter Stress, dass es nach der Hand der Tierärztin fasste. Maxine spürte den Druck und wusste, dass ihr Schützling die Nähe einfach brauchte. Die Furcht war bei Carlotta nicht verschwunden. Sie stand nach wie vor unter einem großen Druck, als sähe sie in jeder Ecke des Hauses irgendwelche Feinde. Sie nagte an ihrer Unterlippe, atmete nur sehr leise, und manchmal fingen die eingeklappten Flügel auf ihrem Rücken an zu zittern.
Es war kein weiter Weg bis zum Zimmer des Jungen, und vor der Tür blieben die beiden erst mal stehen, um sich anzuschauen.
»Geh du zuerst, Max.«
»Klar.«
Die Tierärztin gab sich nach außen hin sicher, obwohl ihr ungutes Gefühl längst nicht verschwunden war. Sie merkte auch, dass ihr Herz schneller als gewöhnlich schlug.
Abgeschlossen war die Tür natürlich nicht. Maxine überlegte, ob sie klopfen sollte oder nicht. Sie entschied sich dagegen und drückte die Tür behutsam nach innen.
Das Gästezimmer war kleiner als ihr Schlafzimmer. Es besaß nur ein Fenster. Da es der Tür gegenüberlag, geriet es zuerst in ihren Sichtbereich. Auch hier war das Lamellenrollo herabgezogen.
Sie ging in den Raum hinein. Es war nichts zu hören, aber Damiano befand
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