Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
Vom Netzwerk:
bleiben.
    Heute regnete es schlimm, der Himmel war düster, es blitzte und donnerte. Deshalb ging Hedwig nicht zur Burg. Stattdessen spielten sie im Haus ein Spiel, das sie sonst nur spielten, wenn es ganz dunkel war.
    Juli versteckte sich im Haus, das sie dann » Wald« nannten, und Hedwig suchte sie, wenn sie laut bis dreißig gezählt hatte. Ein Licht durfte sie dabei nicht anzünden.
    Es war köstlich gruselig, in einer dunklen Ecke zu hocken und Hedwig in der Finsternis herumwandern, schnaufen und knurren zu hören, als wäre sie ein wildes Tier im nächtlichen Wald. Juli musste jedes Mal gleichzeitig lachen und kreischen, wenn Hedwig sie fand.
    Dieses Mal hatte sie einen besonders klugen Einfall gehabt. Sie stand auf einer kleinen Truhe nahe der Eingangstür, wo an Wandhaken die Mäntel hingen. Dort hatte sie sich hinter Hedwigs langen Umhang gekuschelt. Das war ein feines Versteck, denn es roch gut nach Hedwigs Haut, nach Pferd und Wald, und hinter dem dicken Tuch klangen alle Geräusche gedämpft, sodass sie ein bisschen kichern konnte, ohne dass Hedwig sie gleich hören würde.
    Bis dreißig hatte sie gezählt, nun knurrte sie böse und tappte los. Juli hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht herauszuprusten.
    Doch auf einmal ging die Haustür auf, und Mara wehte mit dem Unwetterwind herein. Juli linste durch die Mäntel und sah, dass ihre Amme beide Hände voll hatte, sie war einkaufen gewesen. Sie fing an zu schimpfen, weil es so dunkel im Haus war. Vor Nässe tropfend, stolperte sie über den finsteren Flur in die Küche und ließ die Haustür offen stehen. Juli hörte Hedwig über Maras Schimpfen lachen und biss sich vergnügt in den Fingerknöchel, damit sie sich nicht verriet. Mara kam zurück und hängte ihren nassen Umhang neben den von Hedwig, ohne zu bemerken, dass Juli sich hier versteckt hatte. Es half alles nichts, nun musste sie kichern. Doch im selben Augenblick schrie Mara erschrocken auf und hörte sie nicht.
    » Hilfe«, schrie Mara auf Ungarisch und lief davon, in die Küche. Juli sah einen fremden Mann das Haus betreten und hörte, wie Hedwig aus der Stube herbeigelaufen kam. Ängstlich drückte Juli sich an die Wand und hielt den Atem an. Genau vor ihr blieb Hedwig stehen, in der Hand das kleine Beil, das immer neben dem Ofen stand, für den Fall, dass einmal ein Stück Holz zu groß für die Öffnung war.
    Der Fremde hob beide Hände und lachte. » Selbst in der Finsternis erkenne ich dich. Schlag mich nicht, ich bin ein Freund.«
    Hedwig starrte den Mann an, dann ließ sie ihre Waffe fallen, stürzte vorwärts und fiel ihm um den Hals. » Cord«, sagte sie und klang dabei ganz anders als sonst.
    Der Fremde nahm sie in die Arme und drückte sie so fest an seinen Brustpanzer, dass sie » Au« sagte, aber dann lachten sie beide. Er nahm Hedwigs Gesicht zwischen seine Hände, und sie standen auf dem dunklen Flur und sahen sich in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. Juli kam das sehr seltsam vor, und sie fühlte sich nicht gut dabei, heimlich zuzusehen– aber aus dem Versteck hervorzukommen, traute sie sich nun auch nicht mehr.
    Der Mann schloss mit einer Hand die Tür hinter sich, ohne Hedwig mit der anderen loszulassen. Das Allermerkwürdigste tat jetzt Hedwig. Sie küsste den Mann auf den Mund. Nur kurz, aber es sah aus, als hätte sie damit eine Art Spiel mit ihm begonnen. Er küsste sie zurück, auch nur kurz. Dann küsste sie ihn länger, dann war wieder er an der Reihe, und dann schienen sie gar nicht wieder damit aufhören zu wollen. Sie mussten sich neben Juli an der Wand abstützen, sonst wären sie wohl umgefallen. Das konnte sie nun doch nicht mehr aushalten.
    Juli warf den Umhang zur Seite und sprang von der Truhe. » Du hast mich nicht gefunden, ätsch!«, rief sie und musste lachen, weil Hedwig zusammenschrak und auch anfing zu lachen.
    Sie machte sich von dem Fremden los und strich ihre Röcke glatt. » Ich habe ja gar nicht mehr gesucht, du Grashüpfer. Ich musste unseren Gast begrüßen. Juli, das ist Cord, ein alter Freund. Er wird gewiss heute mit uns essen. Oder wirst du das nicht?« Sie wandte sich dem Mann zu, aber der sah neugierig Juli an. Das war ihr so unangenehm, dass sie sich hinter Hedwigs Röcken verbarg. Hatte er gemerkt, dass sie so hässlich hinkte?
    » Ist das deine Tochter?«, fragte er.
    Hedwig schüttelte den Kopf. » Nein. Sie ist… Sie ist mein Ziehkind. Wilkin und ich… Wir haben noch keine Kinder. Er ist viel unterwegs, und…«
    Cord

Weitere Kostenlose Bücher