Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Flucht handelte es sich dabei nicht. Laut erscholl die Hymne der Hussiten aus den heranrumpelnden Wagen und den Reihen der Marschierenden und ließ keinen Zweifel daran, dass diese Menschen aus der Not eine Tugend machten und angriffen.
Cord ließ ihnen keine Gelegenheit, sich für ihre neue Kampftechnik zu erwärmen, sondern winkte seinen jungen Rittern zum ersten Sturm, bevor die Wagen sich in Formation gebracht hatten. Sie schlugen so tödlich wie möglich an den schwächsten Stellen der Kolonne zu und wichen rasch wieder zurück, um sich neu zu sammeln.
Kurz darauf zählte keine Strategie mehr. Die Hussiten verließen ihre Wagen, um sich zu einer dröhnend singenden Rotte zusammenzuschließen und auf Cords wartende Männer zuzustürmen.
Auch wenn der erste Angriff der Ritter auf der hussitischen Seite Opfer gekostet hatte, waren es immer noch an die zweihundert wütende Gegner, die herankamen. Cord erspürte, wie dem einen oder anderen der Junker an seiner Seite das Herz in die Hose rutschte, und er wusste, dass genau dieser Moment der Angst vor den teuflischen Ketzern schon oft die Niederlage der katholischen Heere nach sich gezogen hatte. Wie aus einem Reflex heraus riss er den Arm hoch und schwang seine Kriegskeule, als würde er bereits triumphieren. » Das wird ein Fest für uns! Macht sie nieder!«, brüllte er und trieb sein Pferd an, bevor jemand auf die Idee kommen konnte zurückzuweichen.
Dieter neben ihm stieß ein hartes, lautes » Ja!« hervor, sein Pferd schnellte vor und überholte das von Cord nach den ersten Sprüngen.
Cord sah sich nicht um, aber er hörte, wie die anderen ihnen folgten. Und sie alle kämpften wie die Besessenen. Den Hussiten blieb keine Zeit, sich darauf einzustellen, dass ihre Feinde dieses eine Mal dieselbe Furchtlosigkeit und Schnelligkeit an den Tag legten wie sie selbst.
Nach kurzer Zeit hatten die jungen Ritter das Gefecht für sich entschieden. Die erschlagenen Hussiten bedeckten den Boden. Doch da die Verbliebenen keine Anzeichen dafür zeigten, kapitulieren zu wollen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Gemetzel fortzusetzen und dabei auf der Hut zu bleiben.
Einer Gruppe der Ketzer war es gelungen, die Pferde auszuspannen und sich auf ihrem Wagen zu verschanzen. Sie schossen von dort aus mit Armbrüsten, richteten aber nichts aus, weil der Kampf zu wirr und schnell ablief. Es war Dieter, der sich schließlich an die Eroberung des Wagens machte. Wie wahnsinnig hieb er auf die Piken und Dreschflegel ein, die ihm über die Brüstung des Gefährtes entgegenschlugen. Cord beeilte sich, ihm zu Hilfe zu kommen, und zog noch zwei andere Männer mit sich.
Außerhalb des schützenden Ringes einer Wagenburg waren die niedrigen Schmalseiten die Schwachstellen der Kampfwagen. Als es Dieter gelang, einen der Verteidiger von hier aus mit dem Schwert zu töten, und dieser zwischen die anderen fiel, geriet deren Disziplin und Aufmerksamkeit lange genug ins Wanken, um ihren Untergang zu besiegeln. In einem Kraftakt, den Cord nicht von dem Neunzehnjährigen erwartet hatte, obwohl er ihn gut genug kannte, beugte Dieter sich blitzartig vor, packte den nächsten Verteidiger an der Weste und zog ihn mithilfe seines Pferdes über die Brüstung des Wagens.
Der Körper des Stürzenden wurde durch das plötzliche Zerren so entblößt, dass über der weiten Pluderhose ein Rücken und ein Brustansatz hervorschimmerten, die Cord von der gegenüberliegenden Seite aus als weiblich erkannte. Einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, hatte er keine Zeit, denn nun musste er selbst die bei den Hussiten ausgebrochene Verwirrung nutzen. Er sprang vom Pferd aus in den Wagen und sorgte mit seiner Keule dafür, dass die Kämpfer sich nicht mehr von ihrer Verwirrung erholen konnten. In kürzester Zeit hatte er mit den beiden Rittern, die ihm zum Wagen gefolgt waren, die Verteidiger ausgelöscht.
Bevor er das Gefährt wieder verlassen konnte, sah er, dass Dieter vom Pferd gestiegen war. Er stand mit hasserfüllter Miene über dem Weib, das er vom Wagen gezogen hatte, mit einem Fuß auf ihrem langen, schwarzen Zopf. Sie hob ihm die Hände entgegen, als würde sie bitten oder ihn abwehren wollen, doch er rammte ihr mit beiden Händen sein Schwert in die Brust.
Cord fühlte es wie einen Faustschlag in den Magen. Doch es wurde noch schlimmer. Dieter zog sein Schwert wieder heraus und hob es, weil er offensichtlich völlig unnötig noch einmal zustoßen wollte. Hinter ihm lief ein junger
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