Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
aus und duftete nach Schlaf. Er erinnerte sich an ihre gemeinsamen Morgenstunden unterwegs, als er sie oft so gesehen hatte, und der Kummer stieß einen Dolch in seine Seele. Warum nur hatte er nicht zur rechten Zeit das Richtige getan? Warum hatte er sie nicht für sich gewonnen, bevor Wilkin es tat? Ich darf es dir nicht sagen, meine Geliebte, dachte er, aber Gott ist mein Zeuge, wie sehr ich dich nicht nur vermisst habe, sondern mein Leben lang vermissen werde.
Sie sah ihn so liebevoll an, als wüsste sie es, auch ohne dass er es aussprach. » Du hast jetzt also auch einen Rappen?«, fragte sie, und auch ihre Stimme klang bei aller Sanftheit heiser.
» Wenn ich die Wahl hatte, habe ich seit damals nie mehr ein anderes als ein schwarzes Pferd besessen. Ich hoffte immer, einmal auf eines zu stoßen, das ebenso viel Herz hat wie dein Tiuvel. Weißt du, dass ich dich hier nur so schnell gefunden habe, weil ich ihn in den Stallungen entdeckt habe? Die Knechte konnten mir sagen, wo du lebst.«
Sie nickte, raffte ihr Kleid ein Stück und setzte sich auf Julis Platz an den Tisch, wo Mara ihr schon eine Schale Hafergrütze bereitgestellt hatte.
Flüchtig fragte er sich, ob das ärmliche Essen, welches er bereits am Vortag bemerkt hatte, auf ihrer Vorliebe beruhte oder auf knappen Geldmitteln.
Sie tauchte den Holzlöffel in ihre Schale und sah ihn belustigt an. » Und hast du ein Pferd mit einem großen Herzen gefunden?«
Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick von ihr zu wenden. » Von allem, was ich damals bewunderte, habe ich später stets nur einen schwachen Abglanz gefunden.«
Mit dem erhobenen Löffel hielt sie inne. Hatte sie verstanden, was er ihr andeutete?
» Wir haben schon etliche Fohlen von Tiuvel gezogen. Aus Irinas Schimmelstute. Das Geld aus dem Erlös hat uns in den schlechtesten Zeiten über Wasser gehalten. Die Käufer sind zufrieden. Warum schaffst du dir nicht eine gute Stute an, und wir… Es wäre schön für mich zu wissen, dass du eines von Tiuvels Fohlen besitzt.«
Ihre aufflammende Begeisterung über den Einfall machte es unmöglich zu deuten, ob sie seine Worte auch auf sich und seine Gefühle für sie bezogen hatte. Vielleicht wünschte sie aber auch, nicht darauf einzugehen, und im Grunde gäbe er ihr damit recht.
» Warum nicht? Ich werde mich umsehen. Aber nicht heute. Denn heute machen wir drei einen langen Ausritt. Ich will sehen, ob du wenigstens noch zu Pferd sitzen kannst, wenn du schon so viele andere Dinge verlernt hast.«
Hedwig war seit langer Zeit nicht so glücklich gewesen wie in den Stunden, die sie mit Cord und Juli in den Feldern und Wäldern nahe dem Pressburger Burgberg verbrachte. Das Unwetter des Vortages war am frühen Morgen weitergezogen und hatte zum Abschied Bäume und Büsche mit Tropfen behängt, in denen sich funkelnd das Sonnenlicht fing. Es war warm genug für leichte Kleider, und als hätten sie sich darüber abgesprochen, war auch ihre Stimmung so leicht, als gäbe es nichts, was sie bedrücken könnte.
Juli strahlte auf ihre stille Art vor Freude, Cord war aufgeräumt und redselig, und er bedachte Hedwig dann und wann mit Blicken, die ihr ein Flattern in der Brust verschafften. Auch seine Spottlust war an diesem Tag die alte. Herausfordernd half er Juli, mit geschürztem Kleidchen auf einen Baum zu klettern, als sie am Waldrand rasteten. Als auf der Wiese ein Hase aus seiner Sasse aufsprang, stieß er Hedwig an, zielte mit einem unsichtbaren Bogen und tat, als hätte er ihn erlegt. Er wusste genau, wie sehr es ihr immer noch in den Fingern zuckte, wie sehr sie vermisste, was sie einst so gut gekonnt hatte. Aber er versuchte nicht, mit ihr darüber zu sprechen, quälte sie nicht, sondern machte sich nur auf freundliche Weise über sie lustig.
Erst am späten Nachmittag kehrten sie gemächlich zu den königlichen Stallungen zurück. Juli saß vor Cord im Sattel und war kurz davor, in seinem Arm einzuschlafen.
Hedwig musste die Stiche ihres schlechten Gewissens unterdrücken. Sie war schuld daran, dass Augenblicke wie dieser nicht alltäglich für die beiden waren und dass sie nicht wussten, was ihnen entging.
Sie vergaß ihre Gewissensbisse, als ein junger Mann vor die Stalltür trat, in dem sie erst auf den zweiten Blick ihren Bruder Dieter erkannte. Er war noch ein gutes Stück in die Höhe gewachsen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, teilte mit allen von Quitzows die breiten Schultern, war aber schlanker als Köne. Unter den kurz
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