Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Wie er es dennoch schaffte, sofort seinen Fuß in den Türspalt zu schieben, war ihr ein Rätsel.
Sie umfasste das Beil fester. » Was willst du?«
» Er ist ein Bastard. Ein verfluchter Bastard. Ein… Er hätte mich… Aber der Beste. Verstehst du dummes Weib das? Ein dreckiger Hurensohn. Aber der Beste. Und du… Was bist du? Lass mich rein. Ich bin dein Bruder. Du hast mit mir gespielt. Mit einem Ball. Weißt du noch?«
Bei aller Unfreundlichkeit klang er so mitleiderregend niedergeschlagen, dass Hedwig die warnende Stimme in ihrem Hinterkopf missachtete und ihm die Tür öffnete. Er taumelte herein, musste sich gleich wieder an der Wand festhalten, und sie hatte Mühe, ihn in der nur von einem schwachen Mondstrahl erhellten Stube zu einem Sessel zu lenken, in den er mehr fiel, als er sich setzte.
Sie blieb ihm gegenüber stehen, ohne das Beil aus der Hand zu legen. Er richtete seinen unsteten Blick auf ihre Waffe und winkte schwerfällig mit der Hand ab. » Lächerlich. Lächerlich. Weiber können nichts. Gar nichts.«
Seufzend lehnte er sich zurück, und für einen Moment sah es aus, als würde er einfach einschlafen.
» Ist das alles, was du mir sagen wolltest?«, fragte sie.
» Ja. Nein.« Wieder schwieg er und schien einzudämmern, doch dann richtete er sich plötzlich gerade auf und zeigte drohend mit dem Finger auf sie. » Ich habe deinen verfluchten Hund nicht umgebracht. Das habe ich nicht.«
Verblüfft sah sie ihm dabei zu, wie er wieder in sich zusammensank. » Ja. Verfluchte Weiber«, murmelte er noch, bevor er tatsächlich einschlief, aus dem Sessel glitt und auf dem Boden zu liegen kam.
Im selben Augenblick klopfte es draußen erneut, wesentlich leiser dieses Mal. Nach einem misstrauischen Blick auf Dieter ging sie zur Tür. » Wer ist da?«
» Cord. Ich suche Dieter. War er hier?«
Rasch öffnete sie, zog ihn herein und schloss die Tür hinter ihm wieder. » Er ist immer noch da. Sieh ihn dir an.«
Sie zeigte ihm ihren auf dem Boden schnarchenden Bruder, auf dessen Stirn das matte Mondlicht fiel. Vorsorglich ergriff sie Cords Hand, damit er sich nicht gleich daranmachte, Dieter aus dem Haus zu zerren.
Doch er machte keine Anstalten in dieser Richtung, sondern legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. » Es tut mir leid, dass er dich geweckt hat. Ich wollte ihn im Auge behalten, aber er ist mir entwischt, als ich kurz hinausmusste. Hat den ganzen Abend kein Wort gesagt, nur gesoffen. Was hat er von dir gewollt? Musstest du ihn niederschlagen?«
Sie schüttelte den Kopf, ein wenig belustigt darüber, wie selbstverständlich er annahm, dass sie ihren Bruder hätte niederschlagen können, wenn er sie bedroht hätte. » Er ist von allein in die Knie gegangen. Ich glaube, er wollte mir wirklich nur sagen, dass er Tristan damals nicht getötet hat.«
Er fing an, mit der Hand in ihrem Haar zu spielen, sprach aber leise weiter, als sei ihm gar nicht bewusst, was er tat. » Das hat er mir schon vor langer Zeit gesagt, und ich glaube ihm. Zu einem freundlichen Kerl macht ihn das trotzdem nicht. Mir wäre es lieber, wenn du dich nicht auf ihn einlässt. Er hätte dich heute umgebracht, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Sie holte tief Luft. » Ja. Aber… Cord, ich hätte ihn vielleicht auch umgebracht, wenn ich es gekonnt hätte. Wilkin sagte einmal, die Unbeherrschtheit scheine ein Fluch zu sein, der allen von Quitzows im Blut liegt. Wenn ich wütend bin…«
Er ließ sie nicht weitersprechen, sondern küsste sie sanft auf die Lippen und flüsterte dann: » Du und Dieter, ihr habt nichts gemein als die Eltern. Deine Wut stammt nicht aus dem gleichen Hass, den er in sich trägt. Ich liebe deine Wut. Ich liebe deinen Eigensinn. Ich liebe die Hand, mit der du deinen sturen Hengst lenkst. Bei Gott, Hedwig, ich liebe dich. Aber jetzt werde ich deinen betrunkenen Bruder hier herausschaffen und mit ihm die Nacht in irgendeinem Stall verbringen. Und morgen werde ich aus Pressburg verschwinden und dich in Ehren hierlassen, wohin dein Gemahl zu dir zurückkehren wird. Der Himmel weiß, wie schwer mir das fällt, aber es ist das einzig Richtige.«
Noch einmal küsste er sie, dann ließ er sie los und machte sich daran, Dieter wach genug zu rütteln, um ihn auf die Beine zu bringen.
Hedwig sah ihm benommen zu, überwältigt von seinen Worten und der Wahrhaftigkeit, die in ihnen lag. Sie konnte nichts anderes tun, als ihm dabei zusehen, wie er ihren Bruder aus dem Haus schleppte und mit ihm ins Dunkel
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