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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Luft. » Guter Mann«, sagte sie in dem beruhigenden Ton, in dem ihr großer Bruder mit seinem Lieblingshund sprach. » Sei brav und tu mir nichts.«
    Der Mann sah sie verdutzt an, dann gab er einen Laut von sich, der belustigt klang.
    Hedwig setzte sich auf. » So ist es gut. Kannst du auch sprechen?«
    Wieder staunte er mit großen Augen, dann schüttelte er das wüste Haupt, wandte sich ab und ging zum Köhler hinüber, der steif mit dem Rücken zur Wand dastand und ihn beobachtete.
    » Du bist ein Schwein, Köhler. Ich nehm sie mit«, sagte der Wilde Mann.
    Der Köhler sah aus, als wolle er widersprechen, kniff jedoch im letzten Moment die Lippen zusammen, als der Wilde Mann sich vor ihm ganz aufrichtete. » Wo ist ihr Zeug?«
    Kurz darauf verließ Hedwig mit dem Fremden die Köhlerhütte. Kurz hatte sie Angst gehabt, doch als er ihr zunickte und ihr wortlos die Hand hinhielt, war sie auf einmal sicher, dass es ihr bei ihm besser gehen würde als beim Köhler.
    Voller Vertrauen stapfte sie an seiner Hand weiter in den geheimnisvollen, tiefen Wald hinein, in den sich sonst kein Mensch jemals verlief.

1
    Der Wilde Mann
    D er Wald duftete nach jungen Knospen, feuchtem Humus, den letzten blühenden Buschwindröschen und den ersten Veilchen. Nach dem langen und harten Winter war jeder Sonnenstrahl ein willkommenes Himmelsgeschenk. Hedwig spürte dankbar die Wärme auf ihrem Gesicht, ließ jedoch ihre angespannte Aufmerksamkeit nicht sinken. Seit Stunden saß sie auf dem hohen Ast einer günstig gewachsenen alten Eiche und beobachtete die Lichtung unter sich. Ebenso lange hielt sie bereits ihren schussbereiten Bogen in der Hand. Sie dachte nicht daran aufzugeben. Er würde ganz sicher kommen, so wie er jeden Tag kam. Nichts würde ihm verraten, dass sie ihm auflauerte. Die Tage, in denen sie sich durch ihr Ungeschick verraten hätte, lagen hinter ihr. Acht Jahre lang hatte sie geübt, ein Teil des Waldes zu sein.
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung wackelte die Krone eines Holunderbusches, einige leichte Schläge gegen Holz erklangen, und eine Birke zitterte. Hedwig hob langsam den Bogen, spannte ihn ein wenig. Nur keine schnelle Bewegung, nur kein aufgeregter Herzschlag, kein hastiger Atemzug.
    Nun trat er zwischen den Büschen hervor auf die Lichtung. Er war kein Prachtbock, aber ausgewachsen. Tagelang Fleisch. Hedwig verbot sich, daran zu denken. Sie durfte nicht schlucken, ihr Magen durfte nicht knurren und ihre Gier ihr nicht den Schuss verderben.
    Der Bock kam weiter heran, mit den stockenden Schritten eines Tieres, das auf der Hut war. Er hob den Kopf und sicherte, Hedwig hielt die Luft an und regte sich nicht. Endlich begann er zu äsen, die Flanke zu ihr. Sie sah die Stelle, an der sie ihn treffen würde, und zog die Sehne mit einer für ihn unsichtbaren, gleichmäßigen Bewegung bis zur Wange. Noch während ihr Pfeil in der Luft war, dankte sie dem Rehbock für das Geschenk seines Lebens. Seine Kraft würde ihre und die ihres Ziehvaters stärken.
    Hedwig war klug genug, keine Spuren zu hinterlassen, als sie den toten Rehbock auf ihren Schultern zu der kleinen Einsiedlerhütte trug, in der sie mit ihrem geliebten » Wilden Mann« wohnte. Sie wusste, dass ihre Jagd Diebstahl war, auch wenn es hier in der Einsamkeit schien, als wäre es gleichgültig, wem das Wild gehörte.
    Richards Hütte hatte sich äußerlich nur wenig verändert, seit er Hedwig als Kind dorthin mitgenommen hatte. Sie war zwischen Bäumen und Gesträuch kaum zu sehen, so bemoost und mit Efeu bewachsen waren die Holzwände und das Dach.
    Hedwig war noch nicht in Sichtweite der Behausung, da kam ihr der Hund entgegen. Der braune Jagdhund sprang aufgeregt an ihr hoch und untersuchte den Rehbock, der ihr inzwischen schmerzhaft auf die Schultern drückte. » Aus, Tristan! Du bekommst schon deinen Teil. Wo ist Richard?«
    Tristan ließ von ihr ab und lief voraus bis zu seinem Herrn, der neben der Hüttentür stand, sich mit einer Hand an der Wand abstützte und ihr entgegenblickte.
    Es gab Hedwig einen Stich ins Herz, ihn so zu sehen. Noch im Herbst war er ihr in seiner Kraft und Geschicklichkeit unbezwingbar vorgekommen. Im Winter hatte er jedoch angefangen zu husten, und seitdem hatte er sich noch immer nicht erholt. Seit damals, als sie zu ihm gekommen war, hatte er sich regelmäßig seine Haare und seinen Bart gestutzt. Deshalb war deutlich zu sehen, wie hager er durch seine Krankheit geworden war. Als er sie sah, formte er die

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