Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Lippen kurz zu seinem üblichen schwachen Lächeln, das wohl nur sie als solches erkannt hätte. Ihr genügte es.
» Fleisch, Richard. Nun können wir endlich den Hund wieder anständig füttern«, sagte sie, und er belohnte sie mit einem weiteren Lächeln. Es war ein alter Scherz zwischen ihnen, dass sie jagten, um Tristan füttern zu können, den sie gemeinsam aufgezogen hatten.
Obwohl sie den Rehbock gern abgeworfen hätte, tat sie es nicht. Bevor Richard in Versuchung kommen konnte, ihn ihr abzunehmen, hatte sie ihn zu dem Baum gebracht, wo sie ihre Beute zum Schutz vor den Wölfen und Füchsen vorerst aufhängten. Sogar das Tier dort hochzuziehen, schaffte sie allein. Fest entschlossen wollte sie es diesmal auch übernehmen, es aus der Decke zu schlagen und aufzubrechen, doch bei dem Gedanken daran entkam ihr ein Seufzen.
» Geh, Zaunkönigin, wasch dich«, sagte Richard mit seiner warmen Stimme. Schwach, wie er auf den Beinen war, stand er doch längst hinter ihr.
Von ihren Gefühlen überwältigt, wandte sie sich um, umarmte ihn und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Wortlos ließ er sie eine Weile gewähren, dann schob er sie auf Armeslänge von sich und musterte sie. Mit einem Kopfnicken wies er sie darauf hin, dass sie ihren Rock noch geschürzt trug. Rasch berichtigte sie den Fehler und sah ihrem Ziehvater danach in die Augen. » Richard…«
Er schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf. Mehr musste er nicht sagen. Sie seufzte noch einmal tief und ging bedrückt zum Bach. Dort wusch sie sich Gesicht und Hände und kämmte ihr Haar, bis sie es neu zu der blonden Krone einflechten konnte, von der sie wusste, dass Richard sie besonders gern an ihr sah.
Sie tat es nicht deshalb, weil sie hoffte, ihn nachgiebig zu stimmen. Sein Entschluss stand fest. Sobald er ganz genesen war, wollte er mit ihr auf die Suche nach ihrer Familie gehen, obwohl er selbst den Gedanken daran hasste. Nur aus Sorge um sie wollte er es auf sich nehmen, seinen Wald zu verlassen. Nur weil seine Krankheit ihm Angst davor gemacht hatte, dass er sterben und sie ohne ihn in der Wildnis zurückbleiben könnte. Und so wenig sie daran denken mochte, dass er sterben könnte, wusste sie doch, dass er nicht unrecht mit seiner Sorge hatte. Im Sommer hätte sie allein im Wald leben können, doch die Vorstellung, einen Winter überstehen zu müssen, in dem niemand ihr mit dem Feuerholz, dem Heranschaffen von Vorräten wie Korn und Salz, dem Heizen und Kochen half und niemand ein Wort mit ihr sprach, machte ihr selbst Angst.
Während Richard draußen mit dem Reh beschäftigt war, bereitete Hedwig in der Hütte einen Brei aus Emmerschrot mit den letzten getrockneten Pilzen des Vorjahres zu. Später, als er zu ihr hereinkam, briet sie noch ein wenig von dem frischen Fleisch als Dreingabe. Richard aß mit Lust, und Hedwig war zwischen Freude und Wehmut hin- und hergerissen, weil sie glaubte, dass er die Krankheit endgültig besiegt hatte.
Zu ihrem Kummer wurde sie noch in derselben Nacht eines Besseren belehrt, denn das Fieber kehrte zurück. Er hustete stark, seine Atemzüge rasselten, und am nächsten Morgen war er zu matt, um sein Lager zu verlassen.
Hedwig schürte das Feuer, brühte die letzten Krümel Fenchel, Weidenrinde und Honig zu einem Sud und reichte ihn Richard. Anschließend fütterte sie erst Tristan und dann Isolde, das Habichtweibchen, das auf seiner Jule in der Ecke saß, wo auch der Hund seinen Schlafplatz hatte. Richard sah ihr schweigend zu, bis sie hinausgehen wollte, um den Rest der alltäglichen Arbeiten in Angriff zu nehmen. Seine Stimme war leise und heiser, als er sie aufhielt. » Warte. Komm her zu mir.«
Hedwig gehorchte mit einem Lächeln und setzte sich auf den Rand seiner Bettstatt. Er überraschte sie damit, dass er ihre Hand ergriff. Seit sie kein Kind mehr war, berührte er sie kaum noch. » Zaunkönigin, es mag sein, dass wir beide diesen Sommer am Ende doch nicht gemeinsam auf die Suche nach deiner Familie gehen.«
Hedwig wusste, worauf er hinauswollte, und schüttelte den Kopf. » Ach was, nun glaub nicht wieder das Schlimmste. Einige Tage in der Sonne, und du bist gesund.«
» Ich weiß, dass du es nicht hören willst. Aber du musst. Du musst mir versprechen, dass du unseren Wald verlässt, wenn ich nicht mehr bin. Und…«
Hedwig versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er hielt sie fest. Bei aller Geschwächtheit war er noch immer stärker als sie. » Du wirst gesund«, beharrte sie.
»
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