"Die Bombe is' eh im Koffer"
Gehirn liefert uns zu einer Wahrnehmung kostenlos noch eine zweite, völlig andere hinzu. Manche Synästhetiker kriegen zu Musik noch Farben dazu, die hören Lady Gaga und sagen: » Mensch, klingt die aber grün.« Das gibt es in verschiedenen Kombinationen und Möglichkeiten, in meinem Fall hat es nur die Folge, dass ich mit ein bisschen Vorlaufzeit meinem Gehirn einen anderen Geruch vorgaukeln kann. Wenn ich also sehe: In zehn Metern Entfernung steht ein Scheich, der nach Scheiße stinkt, dann kriege ich es in der Zeit, die der Scheich braucht, um zu mir zu rollen, auf die Reihe, den Scheich in etwas Neutrales wie einen Vanillepudding umzudeuten. Ich ziehe mir meine Gummihandschuhe an, und wenn der Scheich bei mir eintrifft, sonde ich ihn, taste ihn ab, und alles geht reichlich erträglich vonstatten. Das Problem ist also nicht der stinkende Scheich. Das echte Problem sind die ganzen anderen Gerüche, die aus kurzer Entfernung so schnell über einen Luftsicherheitsassistenten hereinbrechen. Aus einem halben Meter Entfernung kann auch der ausgeprägteste Synästhetiker nichts mehr in Rosenduft umdeuten. Zu Deutsch: Mundgeruch bleibt Mundgeruch. Und nicht nur der.
Um es mal klarzustellen: Luftsicherheitsassistenten sind keine Primadonnen. Wir sind nicht empfindlich, und wir wissen, dass jeder Mensch nach etwas riecht. Das hat nichts mit Schmutz zu tun oder dass er ungewaschen ist, allein schon die Haut riecht ja normalerweise irgendwie. Bei Menschen, die man liebt, liebt man meistens genau diesen leichten Geruch. Und dass der ganz von selbst stärker wird, wenn man nach zwölf Stunden zerknittert aus dem Flugzeug steigt, um sich dann zum nächsten Flieger zu schleppen– darüber brauchen wir nicht reden. Und ab und zu kommt man in Situationen, da riecht man einfach nicht wie eine Rose, ohne dass man was dafür kann– das ist dann zwar auch nicht lustig, aber man hat Verständnis und merkt den Leuten dann auch an, dass ihnen die Sache selbst unangenehm ist. Wie der jungen Schwedin.
Die Frau war ein Geschoss, das kann man nicht anders sagen. Lange blonde Haare, Modelmaße, schlank, weiße Bluse, Jeans, Beine bis zum Hals, ach was: bis zur Nasenspitze, hohe, dunkelbraune Stiefel, ein wundervolles Lächeln, und einen ganz niedlichen Akzent unter ihrem Deutsch, so wie der dänische Koch in der Muppet-Show, Smörrebröd, Smörrebröd, römpömpömpömm, heute maken wir eine Handgepäckkontrollen. Und weil man in Stiefeln und ihren Schäften ja jede Menge Sachen verstecken kann, bat die Kollegin, sie möge die Schuhe mal ausziehen.
Man merkte schon, dass es ihr unangenehm war. Die seien ganz neu, sagte sie unbeholfen, die riechen noch etwas komisch. Das war definitiv der schönste Euphemismus seit der letzten Gesundheitsreform. Und als die Füße aus den Schuhen kamen, konnte man merken, dass sie selber ganz entsetzt war. Aus den Schäften stieg eine Verbindung aus Altem Münsterländer Käse und Ammoniak. Ich sah fassungslos auf die Stiefel. Mir war nicht bekannt gewesen, dass es Behälter gab, die solche Gase transportieren konnten, ohne zu schmelzen.
Die Frau, die zu den Füßen gehörte, tat uns allen leid. Sie sah gepflegt aus, diese Frau roch mit Sicherheit normalerweise an 366 Tagen im Schaltjahr absolut tadellos. Es war ihr sterbenspeinlich, und man sah ihr an, dass sie den Tag verfluchte, an dem sie dieses Schuhschnäppchen gemacht hatte– jetzt, als man das Innenfutter sah, war klar, dass es sich um tatsächlich recht neue Lederimitate aus Kunststoff handelte, optisch schick, sensorisch bedenklich. Aber eine Alternative hatte sie nicht: Der Monitor zeigte, sie hatte für den Kurztrip kein zweites Paar eingepackt. Was sie von einer Standardstinkfußgruppe unterschied: den Bergwanderern.
Bergwanderschuhe gehören mit zum Teuflischsten, was man an der Kontrollstelle erleben kann. Massive, schwere Klumpen, mit denen die Leute wochenlang durch die Berge latschen, immer mit demselben Paar Socken am Fuß, denn in den Bergen, wo man alles selber trägt, muss man Gewicht sparen. Diesen Geruch kriegt man nie wieder aus den Schuhen. manchmal, wenn man sie vier Wochen im Keller gelagert hat, flaut er vielleicht etwas ab. Sobald man ihn mittels Einführen eines Fußes auf Körpertemperatur bringt, ist der Gestank wieder da, frisch wie der junge Morgen. Nun sollte man vielleicht denken, dass Bergwanderer auch für Nicht-Synästhetiker schon von weitem an ihrer Lederhose zu erkennen sind und man dadurch vorgewarnt
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