Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
dem französischen König kam, gleichsam als dessen Unheilsbote, Kardinal Giuliano della Rovere zurück und bezog in seiner starken Burg von Ostia Quartier. Wozu er Karl VIII. raten würde, stand fest: Einberufung eines Konzils, Absetzung Alexanders VI. und Wahl eines neuen Papstes, das heißt seiner selbst. Nach dem Todfeind des Papstes kam sein «Todfreund», Ascanio Maria Sforza. Er überbrachte angebliche Angebote des Königs, die auf eine vollständige Unterwerfung der Borgia unter die Sforza und Frankreich hinausliefen. Damit war für Alexander VI. das Maß voll. Er ließ den Kardinal verhaften und Gerüchte von dessen bevorstehender Hinrichtung verbreiten. Doch das war nur ein letztes, verzweifeltes Manöver der Ohnmacht. Schon bald war Sforza wieder auf freiem Fuß – und Karl VIII. vor den Toren. Am 31. Dezember 1494 zog er als siegreicher Eroberer in der Ewigen Stadt ein. Doch quartierte er sich nicht im Vatikan ein, wie ihm die Hardliner rieten, sondern im Palazzo Venezia. Das durfte der Papst, der sich in die uneinnehmbare Engelsburg zurückgezogen hatte, als ein günstiges Signal werten. Offenbar war der König nicht zum Äußersten entschlossen und respektierte seine Herrschaftsrechte.
Diese Einschätzung erwies sich bald als richtig. Giuliano della Rovere und andere Feinde der Borgia, die auf die Absetzung des «simonistischen» Papstes drängten, konnten sich nicht durchsetzen. Die nüchterne Abwägung der französischen Interessen sprach dagegen: Einem Papst in höchster Bedrängnis konnte man mancherlei Zugeständnisse abpressen. Wie die Christenheit auf seine Absetzung reagieren würde, war hingegen ungewiss. Die Feinde Frankreichs konnten Alexander VI. zum Märtyrer stilisieren und daraus politisches Kapital schlagen. Die Zeichen dieser Wende zu seinen Gunsten muss der Borgia-Papst frühzeitig erkannt haben. In Unterredungen mit Karl VIII., die Anfang Januar aufgenommen wurden, zeigte er sich erstaunlich selbstbewusst und ließ diese ergebnislos enden. Dass der wütende König daraufhin seine Kanonen gegen die Engelsburg richtete, beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Die Stunde der Verhandlungen hatte geschlagen, und darin machte ihm niemand etwas vor. Alfonso von Neapel aber brach angesichts des unaufhaltsamen Vormarsches seines Feindes psychisch und physisch zusammen und verzichtete zugunsten seines Sohns Ferrandino auf den Thron.
Der Borgia-Papst war aus härterem Holz geschnitzt. Auch ihm setzte die bedrängte Lage mit einer fremden Armee in der eigenen Hauptstadt zu, doch mehr als gelegentliche Ohnmachtsanfälle hatte die Anspannung nicht zur Folge. In den Verhandlungen behielt er einen kühlen Kopf. Dass er dabei Zugeständnisse machen musste, war absehbar. Als am 15. Januar 1495 die Unterschriften unter das Abkommen gesetzt wurden, hielten sie sich jedoch in erträglichen Grenzen. Karl VIII. gewann die Verfügungsgewalt über vier Schlüsselfestungen des Kirchenstaats, die die Zufahrtswege nach Rom in allen vier Himmelsrichtungen kontrollierten. Dazu erhielt er einen Kardinalshut für einen französischen Hof-Prälaten und nahm überdies Cesare Borgia sowie den Prinzen Djem als Geiseln mit auf den Weg nach Neapel. Schließlich musste sich der Papst verpflichten, die Kompetenzen der Kardinäle im Konsistorium – darunter ausdrücklich auch das Recht zum Widerspruch – zu stärken und eine allgemeine Aussöhnung mit seinen römischen Feinden herbeiführen. Diese Bestimmungen sollten der Öffentlichkeit zeigen, dass der «allerchristlichste König» die mit diesem Titel verbundenen Aufsichts- und Schutzaufgaben im Sinne der Christenheit erfüllte. Nach seinem Abzug aus Rom waren sie de facto Makulatur.
Noch vor dem Aufbruch des französischen Königs schlug Alexander VI. mit den Waffen der Zeremonien zurück. Nach der «Aussöhnung» musste sich der Monarch dem Papst gegenüber als treuer Sohn der Kirche zeigen, so verlangte es eine seit Jahrhunderten geheiligte Tradition. Dazu gehörte nicht nur der rituelle Handkuss im Konsistorium, sondern auch der Brauch, den Steigbügel des päpstlichen Rosses zu halten, was Karl VIII. zähneknirschend vor aller Augen tat.
Offiziell war die Welt damit wieder im Lot. Die Familie Borgia sah sich nun rasch wiedervereint. Schon bei Velletri, kaum zwei Tagesreisen südlich von Rom, nutzte Cesare Borgia die Gelegenheit zur Flucht. Als der französische König seiner Jagdleidenschaft frönte, hielt er sich abseits, verkleidete sich mit Hilfe
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