Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
waren die unvermeidlichen Verhandlungen zum Vorteil der Borgia. Dabei schlug der Papst das Fürstentum Trinacria, das 15.000 Dukaten jährlich abwarf, nebst einem Hofamt für Giovanni Borgia, den Herzog von Gandía, heraus, der sich jetzt also auch in Süditalien als großer Herr etablierte. Doch für wie lange? Würde sich die Monarchie der aragonesischen Seitenlinie in Neapel gegen die gefürchtete Heeresmacht des französischen Königs behaupten können? Diese Schatten lasteten über der feierlichen Belehnungszeremonie, die der päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard, ein Karrierekleriker aus dem Elsass von zweifelhaftem Ruf, im Mai 1494 zusammen mit der Heirat Jofré Borgias und Sanchias aufwendig inszenierte.
Die Geschicke der neapolitanischen Dynastie und der Borgia waren jetzt gleich mehrfach miteinander verknüpft. Offen war, wer wen stützen oder mit in den Untergang reißen würde. Auf jeden Fall bemühte sich Alexander VI. um weitere Unterstützung für seine neuen Verbündeten in Süditalien. Zu diesem Zweck empfahl er den neuen König von Neapel sogar dem Schutz Sultan Bajasids, ein in der Papstgeschichte singulärer Akt der politischen Kontaktaufnahme über Religionsgrenzen hinweg. Nepotismus überwand wahrhaftig alle Schranken! Das angebliche Antwortschreiben Bajasids, in dem dieser 300.000 Dukaten für die Ermordung Djems bot, stammt hingegen aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Fälscherwerkstatt der Borgia-Feinde.
Doch Karl VIII. von Frankreich ließ sich durch all diese Feierlichkeiten nicht beeindrucken. Immer drängender verlangte er jetzt die Anerkennung seiner Rechte auf Neapel, immer massiver wurden seine Drohungen in Rom vorgebracht. Und im Vorfeld so großer Ereignisse mobilisierten auch die großen Baronalfamilien ihre Anhänger. Speziell die Colonna, die auf der Seite der Sforza standen, witterten Morgenluft und hofften auf territoriale Zugewinne im römischen Umland. Im Gegensatz zu Alexander VI., der sich alle Anklagen der französischen Seite mit stoischer Ruhe anhörte, war der um Jahrzehnte jüngere Alfonso dem Nervenkrieg nicht gewachsen; bevor ein französischer Ritter auch nur die Alpen überquert hatte, brach er alle Abmachungen mit Rom und gab seine Sache verloren.
Dann begann der Countdown: Am 23. August 1494 war Karl VIII. mit einem stolzen Heer von 40.000 Mann in Grenoble, am 14. Oktober erreichte er Pavia, am 9. November zog er kampflos in Florenz ein, das dem französischen König schutzlos seine Tore öffnen musste. Piero de’ Medici, der politisch unberatene Sohn des großen Lorenzo, hatte in letzter Minute versucht, seine unfreundliche Neutralität aufzugeben und durch politisch ungedeckte Zugeständnisse auf die Seite Frankreichs überzuwechseln. Aber die Rechnung ging nicht auf, und er fand sich mit seinen nächsten Angehörigen in der Verbannung wieder. Er war nach König Alfonso von Neapel schon der zweite Mächtige Italiens, der in so kurzer Zeit seine Kopflosigkeit mit dem Machtverlust bezahlen musste.
In dieser Stunde der Bedrängnis gewann Girolamo Savonarola, der Prior des florentinischen Dominikanerkonvents von San Marco, den Kredit, den die Medici verloren. Dieser wortgewaltige Bußprediger aus Ferrara hatte seit mehr als einem Jahrzehnt verkündet, dass Gott Italien für die Sittenlosigkeit, den Unglauben und die Selbstvergötterung seiner Mächtigen züchtigen, Florenz aber nach vollzogener Buße zum Zentrum der kirchlichen Erneuerung erwählen werde. Von dort, so Savonarola in seinen Predigten vom Winter 1494/95, würden die Vereinigung der Welt im Christentum und der Anbruch des tausendjährigen Friedensreiches ihren Ausgang nehmen. Dann würde Christus zurückkehren und bis zu der Bezwingung des Teufels und dem Jüngsten Gericht mit seinen Getreuen auf Erden leben. So war es in der Offenbarung des Johannes verheißen, nur die endzeitliche Mission von Florenz fügte Savonarola hinzu. Wer im Buch der Apokalypse las, stellte allerdings fest, dass vor diesem seligen Zeitalter des Friedens und der Eintracht der Antichrist erscheinen und niedergerungen werden würde. Wer und wo dieser teuflische Nachahmer des Erlösers sei, ließ der Dominikanerprior vorerst offen. Konflikte mit dem Borgia-Papst waren aufgrund seines Anspruchs, als Prophet Gottes die Zukunft vorherzusagen, und wegen seiner rigorosen Sittenstrenge allerdings vorhersehbar.
Währenddessen harrte Alexander VI. in Rom der Dinge, die von Norden auf ihn zukommen sollten. Vor
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