Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
zumindest einen starken Mann im Kardinalskollegium – und eine Reihe weiterer Gefolgsleute, die auf Gedeih und Verderb an sie gebunden waren. So erhielt mit Alessandro Farnese ein junger römischer Aristokrat den Purpur, der nur ein einziges, zudem indirektes Verdienst für diese Würde vorweisen konnte: Seine schöne junge Schwester Giulia, genannt la bella , leistete dem Papst Liebesdienste, und der Bruder hatte nichts dagegen. Diese Komplizenschaft war anno 1493 ein Kardinalat wert – die Kardinäle Todeschini Piccolomini und Carafa schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Doch was sollten sie tun? Einspruch gegen Kardinalsernennungen war in Ermangelung jüngerer Präzedenzfälle weder opportun noch erfolgversprechend. Daher unterschrieben die Kardinäle der Opposition eine Blankovollmacht und glänzten am 20. September durch Abwesenheit.
Die übrigen zehn neuen Kirchenfürsten waren, als Individuen betrachtet, weitaus weniger anstößig: Die meisten von ihnen waren Wunschkandidaten europäischer Fürsten. Zwei verdankten ihre Erhebung der Protektion der Sforza, ein weiterer, Gian Antonio Sangiorgio, war eine ureigene Kreatur der Borgia, mit denen er weder verwandt noch verschwägert, doch als treuer Klient und Berater eng verbunden war. Außer Cesare hatten alle neuen Kirchenfürsten eines gemeinsam: Sie mussten für ihre Erhöhung bezahlen, und zwar große Summen. Einer der «September-Kardinäle», Domenico Grimani, verdankte den roten Hut sogar einzig und allein dem hohen Kaufpreis, den er sofort überweisen konnte.
Kardinalate den Meistbietenden zum Kauf anzubieten war eine persönliche Erfindung Alexanders VI. Sein Vorgänger Sixtus IV. hatte eine steigende Zahl roter Hüte nach rein politischer Opportunität im Interesse seiner Nepoten vergeben. Sie jetzt kurzerhand gegen Geld zu veräußern, ohne diese anstößige Operation auch nur nennenswert zu verbrämen, zeigte, wie der Borgia-Papst mit vorgefundenen Normen umging: Er studierte sehr genau, wie weit seine Vorgänger gegangen waren, steckte also die vorher respektierten Grenzen ab, und überschritt sie dann entschlossen. Stießen diese Tabubrüche auf Kritik, konnte er immerhin darauf verweisen, dass es für alle diese Schritte Vorläufer und Vorbilder gab.
7. Der Zug des französischen Königs und die Bedrängnis des Papstes
Die Konsolidierung der Borgia-Herrschaft in der ersten Jahreshälfte 1493 erwies sich als kurzes politisches Zwischenhoch. Die große Politik machten die anderen, an vorderster Front die Sforza. Schon am 19. August 1493 verschafften Ludovico und Ascanio Maria ihrem Haus neuen Glanz und ihrer Stellung zusätzliches Prestige, als sie ihre Nichte Bianca mit dem römischen König und erwählten Kaiser Maximilian von Habsburg verheirateten. Dieser war wegen seiner oft abenteuerlichen Unternehmungen ständig in Geldnot und daher auf die sagenhafte Mitgift von 400.000 Dukaten angewiesen. Als Gegenleistung brachte diese Eheschließung Ludovico 1494 die Belehnung mit dem Reichslehen Mailand und damit die rechtliche Anerkennung seiner Herrschaft ein, nachdem sein Neffe Gian Galeazzo kurz zuvor gestorben war. Für die zeitgenössischen Beobachter war das ein günstiger Zufall zu viel. Es hieß, der böse Onkel habe mit Gift nachgeholfen. Höchstwahrscheinlich lagen sie mit dieser Vermutung richtig; dafür sprachen auch die qualvollen Umstände dieses gewissermaßen angekündigten Todesfalls. Die Borgia aber hatten in ihrem Bündnisumfeld ein eindrucksvolles Beispiel vor Augen, wie man aus dem Tod der anderen politisches Kapital schlagen konnte.
Der Herr von Mailand sah sich durch die Verbindung seines Hauses mit den Habsburgern in seiner Hochrisiko-Strategie voll und ganz bestätigt. Bei diesem Vabanquespiel hielt ihn jetzt nichts und niemand mehr zurück. Auch Karl VIII., der so vielen Einflüsterungen ausgesetzte französische Monarch, setzte alles auf eine Karte. Zur Vorbereitung seines Italienzugs schickte er seinen besten Diplomaten Philippe de Commynes in die politischen Machtzentren der Halbinsel. Nach Rom kam der spätere Chronist dieser Ereignisse jedoch nicht: Alexander VI. war kein Machtfaktor, sondern nur noch ein lästiger Störenfried der französischen Politik, und zwar spätestens seit Anfang des Jahres 1494, als er nach dem Tod König Ferrantes von Neapel dessen Sohn Alfonso als Nachfolger anerkannte. Im März nahm er den Treueid des neuen Königs entgegen und bestätigte dessen Belehnung.
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