Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
absehbar. Damit aber hatte Alexander VI. die rechtliche Handhabe für ein sehr viel schärferes Vorgehen gewonnen: Der wortmächtige Bußprediger erhielt Predigtverbot; darüber hinaus wurde sein Kloster einer anderen Kongregation zugeordnet und einem papsttreuen Oberhaupt unterstellt.
Doch auch Savonarola agierte taktisch flexibel. Im Herbst 1495 schlug er versöhnlichere Töne an und vermied dadurch den sofortigen Bruch mit Rom. Zudem hatte er einstweilen die florentinische Stadtregierung auf seiner Seite; seine Anhänger, die sogenannten piagnoni , bildeten eine Partei, die unter Patriziern und Handwerkern beträchtlichen Rückhalt besaß. Speziell im gehobenen Mittelstand konnte der Prophet auch künftig auf Unterstützung zählen, und zwar aus gutem Grund. Mit der Autorität des Propheten hatte er sich im Winter 1494/95 für eine Verfassung stark gemacht, die dieser Schicht volle politische Rechte und damit die formelle Gleichberechtigung mit den Patriziern verschafft hatte.
Schon im Frühjahr 1496 spitzte sich der Konflikt zwischen dem Sittenreformer Savonarola und dem skrupellosen Machtpolitiker auf dem Papstthron wieder zu. In seinen Fastenpredigten schürte der Dominikanerprior erneut die endzeitliche Erwartung seiner Zuhörer: Florenz, das neue Jerusalem, werde die Kirche erneuern und den Weltkreis im Christentum vereinen; zuvor aber müsse das Böse in der Gestalt des Antichristen niedergerungen werden. So weit, so bekannt. Neu hingegen war die unterschwellig vermittelte Botschaft, dass Rom Babylon und damit der Hort aller Laster sei, wie man an den 14.000 Prostituierten erkennen könne, die dort ihrem verrufenen Gewerbe nachgingen. Darauf reagierte Alexander VI. im November 1496 mit der Androhung der Exkommunikation.
Aus seiner Sicht war dieser Konflikt lästig, doch keine Gefährdung seiner Machtstellung. Savonarola war mit dem Anspruch aufgetreten, alle Parteigrenzen zu überwinden, die Florentiner zu einer solidarischen Bürgergemeinde zusammenzuschweißen und auf diese Weise eine ebenso patriotische wie gottgefällige Politik zu betreiben. An dieser Verheißung gemessen, war er auch nach dem Urteil neutraler Beobachter gescheitert. Seine Gefolgsleute bildeten ein Netzwerk unter vielen anderen, überdies waren sie untereinander zerstritten. Was ein spiritueller und moralischer Aufbruch werden sollte, war zur Partei abgesunken, zu einer Interessengruppe unter vielen anderen. Alexander VI. zog daraus den Schluss, dass sich der selbst ernannte Prophet durch politische Verhandlungen ausschalten lassen würde. In diesen Künsten war ihm schließlich kaum ein Gegner gewachsen.
Nachdem sie das französische Abenteuer glimpflich überstanden hatten, konnten die Borgia die erste Etappe der Expansion, den Kampf um Rom, in Angriff nehmen. Wer sich dauerhaft als Machtfaktor an der Kurie behaupten wollte, musste sich in der Ewigen Stadt und ihrem Umland festsetzen, ja regelrecht festkrallen: Die römische Campagna wurde auf diese Weise zu einem der am heißesten umkämpften Terrains Europas. Jede neue Papstfamilie sah sich vor die Schicksalsfrage gestellt: Wollte sie die Konkurrenz mit ihren Vorgängern aufnehmen und sich dadurch auch den unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit ihren nicht weniger begehrlichen Nachfolgern stellen? Nicht nur der Verdrängungskrieg gegen die Nepotensippen, sondern auch ein erbitterter Kampf gegen die großen Baronalfamilien wurde damit unvermeidlich. Ob man diese Konflikte wagen sollte oder nicht, hing von den verfügbaren Ressourcen ab. Die Della Rovere waren nach dem dreizehnjährigen Pontifikat Sixtus’ IV. der Meinung, für diesen Strauß gerüstet zu sein. Franceschetto Cibo, der Sohn Innozenz’ VIII., hingegen schätzte seine Chancen weniger günstig ein. Nach dem Tode seines Vaters verkaufte er so schnell wie möglich seine römischen Besitzungen und zog sich aus dem mörderischen Existenzkampf am Tiber zurück, von Hohngelächter der Humanisten überschüttet, die ihm diesen Verzicht als Feigheit ankreideten. Dieser Abgang war fraglos nicht sehr heldenhaft, doch dafür vernünftig. Die Cibo machten sich weniger Feinde als die anderen Nepoten, was sich für den späteren Wiederaufstieg der Familie als förderlich erwies.
Für die Borgia stand von vornherein fest, dass sie sich in Rom in den höchsten Rängen der Aristokratie behaupten wollten. Damit stellte sich nur noch die Frage, auf wessen Kosten sich diese Territoriumsbildung vollziehen sollte. Rechtliche
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