Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
auch die Verlässlichkeit der Markusrepublik stand auf dem Spiel: Wenn sie ihre Schutzbefohlenen ihrem Schicksal überließ, um sich damit Wohlwollen und Zugeständnisse des Papstes einzuhandeln, unterhöhlte sie ihre Stellung nicht nur in Italien. So setzten die Gegner der Borgia ihre Hoffnungen auf die Standfestigkeit der Lagunen-Republik.
Die Befürworter einer engen Anlehnung an Rom huldigten stattdessen dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Serenissima: Was die Borgia jetzt gewannen, musste nach dem Tod des Papstes unweigerlich wieder zerrinnen – um danach Venedig zuzufließen. Diese Logik leuchtete der Mehrheit der Patrizier, die die Richtlinien der Politik an der Lagune bestimmten, schließlich ein. Zwischen Tradition und Staatsräson hin und her gerissen, konsultierten sie durch die Vermittlung eines Mediums sogar Geister. Die Stimme aus dem Jenseits hatte beruhigende Zukunftsaussichten zu verkünden: Alexander VI. werde bald das Zeitliche segnen und in die Hölle fahren, wo die Teufel schon sehnsüchtig auf ihren Gesinnungsgenossen warteten. Das mochte glauben wer wollte – und doch hätte sich diese Prophezeiung um ein Haar bewahrheitet.
Am 13. Juni 1500 feierte Alexander VI. die Geburt einer Enkelin: Charlotte d’Albret hatte Cesare, dem Eroberer, ein Töchterchen geschenkt! Die personelle Basis der Borgia erweiterte sich ständig, profitable Eheschließungen dieses jüngsten Borgia-Sprosses zeichneten sich bereits am Horizont ab. Der Papst war noch in Hochstimmung, als am 29. Juni 1500 ein plötzlich hereinbrechender Wirbelsturm die Decke des Vatikanischen Palastes abtrug. Der Baldachin, unter dem Alexander VI. thronte, stürzte über ihm ein. Doch er wurde wie durch ein Wunder nur leicht verletzt; ein einziger Tragebalken stemmte sich dem vorzeitigen Ende des Borgia-Pontifikats entgegen. Der Papst führte seine Rettung auf die Hand Gottes zurück, seine Feinde sahen die Mächte der Finsternis am Werk: Alexander VI. sei mit dem Teufel, seinem Herrn und Meister, aneinander geraten, der als letzte Warnung den Sturm entfesselt habe.
Alexander VI. reagierte auf seine Weise: Er wollte ausschließlich von Lucrezia gesund gepflegt werden. Nach dem überstandenen Schrecken vertraute er allein dem engsten Familienkreis. Das war eine nur allzu verständliche Haltung. Wahrscheinlich sah er in der wundersamen Rettung die Erfüllung einer Weissagung. Zu Beginn des Jahres hatte der Borgia-Papst vor glaubwürdigen Zeugen wieder einmal über seine Lebenserwartung gesprochen und verkündet, dass er fest mit weiteren neun Pontifikatsjahren rechne. Natürlich sollte eine solch optimistische Prognose auch die vielen Feinde der Borgia einschüchtern. Wenn sie zutraf, stand ihnen noch eine lange Durststrecke bevor. Leider ließ der rüstige Greis wiederum unerwähnt, woher er diese Gewissheit bezog. Die meisten Wahrsager der Zeit behaupteten, die Sprache der Gestirne zu entschlüsseln; Astrologie galt damals überwiegend noch als eine seriöse Wissenschaft und als mit der christlichen Doktrin vereinbar, auch wenn Skepsis und Widerspruch allmählich zunahmen.
Die Medaille, die Alexander VI. anlässlich des Heiligen Jahres 1500 schlagen ließ, zeigt ihn auf der Vorderseite mit seinen charakteristischen Gesichtszügen und auf der Rückseite als frommen und tatkräftigen Papst, der die Heilige Pforte der Peterskirche und damit den Gläubigen Wege zum Heil öffnet (Madrid, Museo Arqueológico Nacional).
Der Tornado über dem Papstpalast blieb nicht die einzige Sensation, von der die Rompilger zu berichten hatten. Das Jahr 1500 war ein Heiliges Jahr, in dem man durch den Besuch der römischen Hauptkirchen einen vollständigen Ablass aller bis dahin aufgehäuften Sündenstrafen erwerben konnte. Daher kamen die Fremden in hellen Scharen an den Tiber. Der päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard, der Zugang zu den Rechnungsbüchern des Vatikans hatte, schätzte ihre Zahl auf 200.000. Die meisten von ihnen wurden auf Kosten der Apostolischen Kammer einquartiert und verpflegt, so dass seine Angaben glaubwürdig sind.
Der Naturgewalt folgte die Menschengewalt auf dem Fuße. In der Nacht auf den 16. Juli 1500 wurde Alfonso von Aragón, Lucrezia Borgias Gatte, auf den Treppen vor dem Atrium der Peterskirche von Unbekannten überfallen. Trotz düsterer Vorahnungen und mancherlei Warnungen war er nach Rom zurückgekehrt und den Attentätern damit in die Falle gegangen. Diese hielten ihn offensichtlich für
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