Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Ascanio Maria Sforza gehört hatte, sondern sie «erbte» auch ausgedehnte Lehnsherrschaften der Familie Caetani im südlichen Latium, die diese zweihundert Jahre zuvor von «ihrem» Papst Bonifaz VIII. erhalten hatte. In diesen frisch erworbenen Besitzungen betrieben die Borgia eine geschickte Politik: Sie senkten die Abgaben und setzten alte Gemeinderechte wieder in Kraft, um sich bei ihren ländlichen Vasallen beliebt zu machen. Das war eine klug berechnete Vorsichtsmaßnahme für das Pontifikatsende: Wenn die Feinde nach dem Tod des Papstes zum Gegenangriff schritten, war man auf die militärische Unterstützung aus dem eigenen Herrschaftsgebiet angewiesen.
Die auffallende Bevorzugung Lucrezias erschöpfte sich nicht in diesen Besitzüberschreibungen. Am 8. Oktober 1499 wurde die neunzehnjährige Nepotin von ihrem Vater zur Regentin von Spoleto und Foligno ernannt. Eine Frau als Amtsträgerin des Kirchenstaats: Das war nicht nur ein Novum, sondern auch ein unerhörter Tabubruch. Kurz darauf brachte die «Gouverneurin» einen Sohn zur Welt, der den Namen des päpstlichen Großvaters erhielt. Die Taufe des kleinen Rodrigo junior wurde wie ein Staatsakt gefeiert. Zum abendlichen Bankett waren die Botschafter geladen. Die vornehmsten römischen Aristokraten nebst Gattinnen überreichten kostbare Geschenke. Verdankte Lucrezia ihre Rangerhöhung allein diesem Enkel? Oder mehrte der Vater das Prestige der Tochter, weil er sie im großen Spiel um die Macht der Familie gewinnbringend einsetzen wollte? Ihren Gatten Alfonso plagten offenbar düstere Vorahnungen. Er setzte sich 1499 in die sichere Heimat Neapel ab.
12. Cesare Borgias Kriege für ein eigenes Fürstentum
Abgesehen von dem Streit mit den Sforza und der Enteignung der römischen Barone waren die Jahre 1499 und 1500 ganz der Eroberung des lang ersehnten Borgia-Fürstentums im Norden des Kirchenstaats gewidmet. Dafür schuf der Papst als Lehnsherr die rechtlichen Voraussetzungen. Schon im März 1499 erklärte er Ottaviano, Galeazzo und Cesare Riario zu Rebellen gegen die Kirche und entzog ihnen damit die Herrschaft über Imola und Forlí. Doch dieser Schlag sollte vor allem Caterina Sforza-Riario, die Mutter der drei unmündigen Knaben treffen, die als deren Vormund regierte und sich durch ihre militärische Tapferkeit einen Namen gemacht hatte. Caterina war die Witwe des 1488 ermordeten Grafen Girolamo Riario, des weltlichen Hauptnepoten Sixtus’ IV., der diesen Neffen zum Herrn der beiden romagnolischen Städte erhoben hatte. Um sein hartes Vorgehen gegen die in ganz Italien bewunderte Herrscherin zu legitimieren, bezichtigte Alexander VI. sie nicht nur, wie üblich, diverser Verstöße gegen das Lehensrecht, sondern klagte sie sogar an, einen Giftanschlag gegen seine eigene erlauchte Person versucht zu haben.
Mit Cesares Vorrücken gegen das Territorium der Riario weitete sich der Verdrängungskampf der Borgia gegen ehemalige Nepoten und lokale Eliten, der in Rom begonnen hatte, auf den übrigen Kirchenstaat aus. Natürlich erhielt Cesare Borgia alle Rechte, die seinen Vorgängern entzogen wurden, postwendend selbst übertragen. Um sich gegen solche Attacken der neuen Papstfamilien zu wehren, hatte sich Caterina Sforza-Riario von langer Hand abzusichern versucht. Sie setzte zum einen auf die Unterstützung ihrer Verwandten in Mailand und unterstellte sich zum anderen dem Schutz der Republik Florenz. Doch als es ernst wurde, sah sie sich zweifach im Stich gelassen. Die Sforza konnten im Kampf gegen Frankreich keinen einzigen Söldner entbehren. Und Florenz begnügte sich damit, mit dem Chef seiner zweiten Kanzlei namens Niccolò Machiavelli einen Diplomaten zweiten Ranges zwecks Sondierung der Lage in die bedrohten Städte zu schicken.
Machiavellis Mandat bestand darin, die aufs höchste gefährdete Fürstin mit guten Worten abzuspeisen: Man werde alles Nötige zur Verteidigung einer so treuen und wertvollen Verbündeten unternehmen! Das hieß, wie Caterina wohl wusste, dass sich keine Hand zu ihrem Schutz rühren würde. Florenz wurde von Kaufleuten und Handwerkern regiert, die ihre Lektion aus dem Sturz Savonarolas gelernt hatten: Mit diesem Papst legte man sich besser nicht an. Um solche Konflikte zu vermeiden, kam man dem geliebten Sohn des Papstes bei seinen Eroberungszügen tunlichst nicht in die Quere. Heiliger Egoismus war jetzt nicht nur am Arno angesagt. Abwarten, wen es treffen würde, Glückwünsche zu militärischen Erfolgen schicken und
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