Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
darauf hoffen, dass dieser immer aggressivere Papst möglichst bald das Zeitliche segnen werde: So versuchten sich die meisten Mächte Italiens aus der Affäre zu ziehen.
Doch der Tod des Papstes war, wie der scharfsichtige venezianische Botschafter Girolamo Donato notierte, so schnell nicht zu erwarten. Der Papst erfreue sich bester Gesundheit und tue alles, um diese auch in Zukunft zu erhalten. Die Lebensdauer Alexanders VI. war das kostbarste Kapital seiner Familie. Dass er es durch gesunde Ernährung und Einteilung seiner Kräfte zu bewahren versuchte, war also nur konsequent. Doch Donato machte sich nicht nur über die Physis, sondern auch über die Psyche und den Charakter des Papstes seine Gedanken. Dieser habe sich in sieben Pontifikatsjahren als verschlagen, listenreich und undurchschaubar erwiesen und mit diesen Eigenschaften jegliches Vertrauen unter den Mächten verspielt. Doch habe ihm dieser Verlust, der für jeden anderen Fürsten fatal wäre, nicht geschadet, sondern im Gegenteil sogar eher genützt. Das lag daran, dass er als unerreichter Meister der dissimulazione Diplomaten und Öffentlichkeit meisterhaft zu täuschen verstehe und aller Welt Angst einflöße. Außer Frage stehe nur, dass alle seine Bestrebungen auf die Größe seiner Familie ausgerichtet seien. Hier machte Donato denn auch die Achillesferse des Papstes aus: Wer ihm Vorteile für die Seinen verheiße, gewinne seine Gunst; solchen Versprechungen stehe er zudem nicht mit dem Misstrauen gegenüber, das er bei seinen übrigen Unternehmungen walten lasse. Wer also im Ringen mit diesem Papst punkten wollte, musste sich zumindest pro forma auf Cesares Seite stellen. Diese Analyse war als praktische Handlungsanweisung für die Republik Venedig gedacht und das Ergebnis sorgfältiger Beobachtungen und profunder Reflexionen. Donato brachte diese Einschätzung nach Abschluss seiner Mission in einem offiziellen Bericht vor dem Senat der Serenissima zu Gehör. Seine Stimme hat bis heute Gewicht. Ja, sein Porträt des Borgia-Papstes darf bis heute als unübertroffen gelten.
Im Winter 1499/1500 richteten sich alle Augen auf die militärischen Ereignisse in der Romagna, wo Cesare Borgia mit seinen eigenen Truppen und französischen Hilfskontingenten unaufhaltsam vorrückte. Die Stadt Imola kapitulierte früh. Caterina Sforza-Riario zog sich nach Forlí zurück, in dessen Zitadelle sie erbitterten Widerstand leistete, ja selbst mit dem Schwert in der Hand auf den Festungsmauern kämpfte. Doch am 12. Januar 1500 musste auch sie sich der Übermacht geschlagen geben und wanderte in den Kerker des Siegers. Dass sie diese Gefangenschaft überlebte, verdankte sie der Fürsprache Ludwigs XII. von Frankreich.
Auf französische Hilfe setzte auch die Republik Florenz, die sich durch die immer weitere Kreise ziehenden Unternehmungen Cesare Borgias zunehmend selbst bedroht sah. Um sich dieser Protektion zu versichern, sandte sie ihren Diplomaten Niccolò Machiavelli an den französischen Hof. Was dieser zu berichten hatte, klang für alle diejenigen besorgniserregend, die auf die Hilfe Ludwigs XII. setzten: Der König betrachte Italien als seine Einfluss-Sphäre, aus der er so viel Gewinn wie möglich schöpfen wolle; auf Gegenleistungen dürfe jedoch kein Verbündeter auf der Halbinsel hoffen. Auch die Borgia betrachte er nur als Bauern in seinem Schachspiel. Eigene Züge in einer eigenen Partie werde er ihnen kaum zugestehen. Das zumindest war eine gute Nachricht für alle, die den unberechenbaren Papst und seinen gewalttätigen Sohn fürchteten.
Cesare Borgia wurde durch die kurzfristige Rückkehr der Sforza nach Mailand zwischen Februar und April 1500 nur kurz behindert. Weiteren Eroberungen hatte der Papst dadurch vorgearbeitet, dass er alle Stadtherren (signori) der Romagna nicht nur absetzte, sondern auch exkommunizierte. Auf diese Weise waren die alten Machthaber für vogelfrei erklärt und die Feldzüge Cesares zusätzlich legitimiert worden. Der vollständigen Eroberung des Fürstentums stand jetzt nur noch die Republik Venedig entgegen, denn diese hatte seit den Friedensschlüssen von Lodi im Jahr 1455 die meisten der romagnolischen signori unter ihren Schutz und Schirm genommen. Und im Gegensatz zu Florenz war die militärisch schlagkräftigere und politisch stabilere Serenissima nicht ohne weiteres bereit, diese raccomandati , wörtlich diese «Empfohlenen», den Expansionsbestrebungen der Borgia zu opfern. Nicht nur die Ehre, sondern
Weitere Kostenlose Bücher