Die Botin des Koenigs reiter2
und den ganzen Herbst verschlafen?
Unmöglich.
Mit einem Aufflackern von Angst erkannte sie, dass es so unmöglich nicht war, denn nun erinnerte sie sich wieder an ihre Reise in die Vergangenheit – und die Zukunft. Vielleicht war sie zu weit in die Zukunft gezogen worden und hatte Monate ihres Lebens verloren. Was, wenn es wirklich Winter war?
Und diese Gedanken brachten eine Reihe von Erinnerungen an die Zeitreise und an Fastion und Mara, die wie Lichtwesen flackerten und sie aus der Dunkelheit herauszogen. Ihr war so schrecklich kalt gewesen! Sie erinnerte sich daran, wie Fastion durch dunkle Gänge vorausgegangen war, oder gehörte das zu einer älteren Erinnerung? Jedenfalls war das meiste, was geschehen war, nachdem die beiden sie gefunden hatten, irgendwie verschwommen. Nun war sie hier in einem fremden Bett. Vorhänge waren vor ein kleines Fenster gezogen, und das Zimmer lag in einem grauen Licht, das die körnige
Struktur der Steinwände und ihre Unregelmäßigkeiten hervorhob.
Steinwände – vielleicht war sie ja immer noch in der Zeit gefangen. Was war das hier für ein Ort?
Sie kämpfte gegen die Lagen von Decken an, was die Steine gegeneinanderklicken ließ.
In ihrem rechten Arm spürte sie einen stechenden Schmerz. Der linke war seltsam steif und kalt. Sie lehnte sich zurück. Denk nach.
Wenn sie in einem sehr schlechten Zustand gewesen war, als Mara und Fastion sie gefunden hatten, hätten die beiden sie wahrscheinlich nicht den ganzen Weg in die Reiterunterkunft zurückgezerrt. Es wäre einfacher gewesen, sie in der Burg zu lassen. Sie schnupperte und roch tatsächlich etwas von dem Kräuterduft, der für gewöhnlich überall im Heilerflügel in der Luft hing. Das war nur vernünftig.
Ein wenig ruhiger geworden, kuschelte sie sich in die Decken und verzog gleich darauf das Gesicht, weil ein Stein unter ihren Rücken gerollt war. Sie fühlte sich nicht allzu schlecht, obwohl immer noch ein Rest schauerlicher Kopfschmerzen geblieben war, nicht zu reden von ihrem knurrenden Magen und dem wachsenden Bedürfnis, den Nachttopf zu benutzen. Die Müdigkeit jedoch erwies sich als stärker. Sie war so müde, erschöpft bis in die Knochen!
Sie döste ein wenig, und ihre Lider senkten sich, als sie ein leichtes Lichtflattern am Fußende des Betts bemerkte. Sie blinzelte, konnte dann aber nichts mehr sehen, also sank sie wieder in den Schlaf.
… sie zusammenhalten.
»Wie?« Karigan träumte, dass sie die Augen öffnete und die geisterhafte Gestalt von Lil Ambrioth am Fußende ihres Bettes stand. Eine andersweltliche Phosphoreszenz zeichnete
Einzelheiten ihrer Züge nach – den Schwung der Lippen, eine Strähne von hellbraunem Haar, das Schimmern einer goldenen Brosche –, aber das Tageslicht des Zimmers verschluckte mehr von ihr, als es enthüllte.
Lil sprach mit ihr, aber nur wenige Worte konnten die Barriere zwischen den Lebenden und den Toten durchdringen.
… immer im Bett, sagte Lil, und sie schien ein wenig verärgert zu sein. Träume waren manchmal wirklich komisch. Die Personen in Träumen taten und sagten mitunter Dinge, die überhaupt keinen Sinn ergaben.
Die Tür wird sich bald schließen, fuhr Lil fort … mich beeilen. Die Reiter sind … du musst sie zusammenhalten.
Als Karigan nicht reagierte, begann Lil aufgeregt im Raum hin und her zu fegen, ein leuchtender Wirbel. Sie sprach schnell, und Karigan verstand kein Wort. Einen Augenblick später verblasste Lil wie eine Flamme, die ausgeblasen wird.
Nur ein paar letzte Worte schwebten noch aus dem Nichts heran: Halte sie zusammen, ja?
Dann war der Traum zu Ende, und Karigan schloss die Augen und schlief diesmal tatsächlich ein.
Einige Zeit später wurde sie wieder wach, überhitzt und schwitzend von all den Decken, die auf sie gehäuft waren. Das Bedürfnis, den Nachttopf zu benutzen, war überwältigend. Sie schob die Decken weg und tat, was sie tun musste.
Danach ging sie im Zimmer umher und sah es sich an. Goldenes Licht fiel durch die Vorhänge. Sie riss sie auf, blinzelte in den Tag hinaus und fragte sich, welches Datum nun eigentlich war. Aber wenigstens war es nicht Winter! Und was immer es für ein Tag sein mochte, das Unwetter war vorüber und hatte einen strahlend blauen Himmel zurückgelassen.
Das Fenster ging auf das Burggelände im Norden hinaus. Dort unten waren die Hundezwinger, mehr Ställe und andere
Nebengebäude. Wachen bewegten sich auf der Mauer, die das gesamte Gelände umgab, und am Horizont erhob sich
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