Die Botin des Koenigs reiter2
Silber und ihre miteinander verflochtenen Äste in Spinnennetze. Das alles erzeugte genau die Art von Atmosphäre, die Karigan sich vorgestellt hatte, wenn sie an Eleter dachte. Über ihnen an der Kuppel des Nachthimmels glitzerten die Sterne mit beinahe schmerzlicher Klarheit; sie schienen näher zu sein, als Karigan sie je zuvor gesehen hatte. Die Sternbilder waren vertraut und gleichzeitig fremd, als wären sie ein wenig verzogen. Sie hätte nicht sagen können, ob sie sich immer noch auf sacoridischem Boden befand oder ob die Eleter sie in eine Traumwelt verschleppt hatten.
Sie kamen auf eine andere Lichtung, die ebenfalls von den allgegenwärtigen Mondsteinen beleuchtet wurde. Eleter hatten sich auf dieser Lichtung versammelt, um zusammen zu essen und zu trinken, oder zumindest sah es für einen Augenblick so aus, denn dann verschwanden sie, ohne dass eine Spur ihres Gelages zurückblieb, bis auf einen Kelch, den der Prinz in der Hand hielt. Er saß auf einem Sessel aus geflochtenen Zweigen und lauschte mit gesenktem Kopf einer Frau, die zu seinen Füßen saß und sang.
Ihre Stimme war rein und klar, und die Melodie zerriss Karigan beinahe das Herz, obwohl sie die Worte nicht verstand. Als das Lied zu Ende war und die letzten Töne in der Nachtluft verklangen, legte der Prinz die Hand unter das
Kinn der Sängerin. Sie stand auf und verließ die Lichtung mit dem leichten Schritt einer Tänzerin.
Das Haar des Prinzen war vom gleichen Flachsblond wie das seiner Schwester, aber seine Augen waren vollkommen anders. Graes Augen waren grün wie eine Waldwiese, die des Prinzen so strahlend blau wie der Sommerhimmel, und plötzlich musste Karigan an einen anderen Eleter denken, dessen Augen so strahlend blau gewesen waren.
Der Prinz sah sie nun unverwandt an, während Karigan wie gelähmt dastand und an Shawdells Augen dachte.
»Ari-matiel Jametari«, stellte Grae vor, »Prinz von Eletien.«
Der Prinz erhob sich. Er trug keine Krone, keine Edelsteine, hatte kein Zepter, das auf seine Stellung hingewiesen hätte. Aber seine Haltung sagte alles. Er war mit einem schlichten silbrigblauen Hemd bekleidet, das mit einer Schnur gegürtet war, und mit einer weiten Hose. Es sah aus, als zöge er das Sternenlicht irgendwie an und reflektiere es, und Karigans Augen brannten beinahe, wenn sie ihn ansah.
Seine Verachtung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, sein abschätzender Blick war schlimmer als der von Grae, denn nun fühlte sich Karigan nicht nur wie ein Gegenstand, dessen Wert eingeschätzt wird, sondern wie ein Gegenstand des Abscheus.
»Wenn es einen Grund gibt, wieso ihr mich hergebracht habt«, sagte Karigan, »würde ich ihn gern erfahren.«
Für eine offizielle Vertreterin von Sacoridien war ihre Respektlosigkeit unverzeihlich, aber das Gleiche galt für das hochmütige Benehmen der Eleter, und jede Sekunde, die verging, trieb Karigan dichter an ihre Grenzen. Ob sie sie nun Gast nannten oder nicht, sie fühlte sich mehr und mehr wie eine Verbrecherin.
Die blauen Augen erwiderten ihren Blick stolz und kalt.
»Ich wollte dich selbst sehen.« Seine Stimme war ein wohlklingendes Echo von Shawdells Stimme.
»Warum?«
»Du hast meinen Sohn in den Tod geschickt.«
»Shawdell.«
»Ja.« Der Prinz stand vor ihr und hielt sie mit seinem Blick gefangen. Klagte er sie an? Musterte er sie? Eleter waren einfach zu unbekannt, ihre Art zu fremd, als dass Karigan hätte erraten können, was hier los war. Hatte man sie vor den Prinzen gebracht, um ihr offiziell den Prozess zu machen, oder ging es einfach um Rache?
Der Prinz brach den Augenkontakt ab, kehrte zu seinem Sessel zurück und setzte sich. Dann fingen die blauen Augen sie abermals ein.
»Kannst du auch nur begreifen, was es bedeutet, ewig zu leben, Galadheon?«
»Nein.«
Der Prinz nickte. »Eine weise Antwort. Die von meiner Art sterben selten, obwohl während des Umbruchs viele ums Leben gekommen sind.«
Karigan wartete darauf, dass der Prinz sie beschuldigte, seinen Sohn getötet und damit eins dieser ewigen Leben beendet zu haben, aber die anklagenden Worte blieben aus. Seine Augen verwandelten sich nur in große Brunnen der Trauer, und das war Anklage genug.
»Was weißt du über die Vergangenheit, über Zeiten vor jener, die ihr das Erste Zeitalter nennt?«, fragte er.
Diese Frage erstaunte sie. »Sehr wenig.«
»Dein Volk hat nicht das Gedächtnis des meinen«, sagte Prinz Jametari. »Eure Erinnerung ist gebrochen und verblasst, weil ihr Menschen
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